Lernen im ZEGG

Das ZEGG ist Anfang der 1990er aus dem Wunsch entstanden, Leben, Beziehung und Gesellschaft anders zu gestalten. Neu zu gestalten. Was aber brauchen Menschen, um den Weg ins Unbekannte zu gehen? Mut. Herz. Ein bisschen Radikalität. Und Selbstkenntnis. Die immer tiefere Kenntnis meines Selbst - dessen, was uns antreibt und bewegt. Doch was hat das mit Lernen zu tun? Und was ist das besondere am Bildungsverständnis des ZEGG? 

„Wir tun die Dinge als Individuen. Neuerungen entwickeln sich in Gemeinschaft. Die Herausforderung ist es, Wege zu finden, wie Individuen zusammenwirken können, so dass sich ihre individuellen Perspektiven, ihre Fähigkeiten, ihr Verständnis und ihre Einsichten bestmöglich miteinander verbinden.“ Jordan Greenhall 

Wissen versus Entwicklung?

Die Lebensgemeinschaft ist heute eng verbunden mit dem Bildungszentrum, das sie trägt und gestaltet. Aus dem gemeinschaftlichen Zusammenleben werden neue Ideen und Inhalte für Seminare und Festivals entwickelt. Das ZEGG ist von der Absicht getragen, mehr Bewusstheit und Liebe ins eigene Leben zu bringen und Lösungen für eine zukunftsfähige Lebensweise zu entwickeln.
„Ursprünglich war es Aufgabe der Schule, Menschen für eine gleichförmige Tätigkeit zu qualifizieren. Die Gesellschaft der Zukunft aber braucht Menschen mit individuellem Profil. Um dieses Profil zu entwickeln, müssen sie sich selbst kennen lernen. Hier im ZEGG wird diese Basisarbeit in Sachen Bildung geleistet,“ sagt Silke Weiß von der LernKulturZeit-Akademie in Lorsch.
Dass die Entwicklung der Persönlichkeit zum Lernen gehört, diesen Ansatz hat schon die Reformpädagogik Anfang des letzten Jahrhunderts vertreten. Sie verstand Bildung als das Hervorbringen des Schöpferischen - und als Begegnung der inneren mit der äußeren Welt. Dabei lernen wir an den Dingen und den Menschen um uns herum. Dieses Einlassen des Individuums auf die Welt sei der eigentliche Kern des Bildungsprozesses.
Und doch sind Wissen und Kompetenz wichtige Dimensionen von Bildung. Denn wir müssen von der Welt wissen, wenn wir ihr begegnen wollen - und wir brauchen bestimmte Kompetenzen, um mit ihr umgehen zu können, uns inmitten vieler Wahlmöglichkeiten auszurichten, Entscheidungen zu treffen, zu kommunizieren, Beziehungen zu knüpfen und zu pflegen.
„Bildung ist nicht allein die Aneignung von Wissen und Kompetenzen. Bildung ist vor allem Mensch-Bildung“, meint Silke Weiß. „Du musst wissen, wer du bist und was du willst, um aktiv an Veränderungsprozessen in der Gesellschaft teilnehmen zu können“.
Bildung also im Sinne von Persönlichkeitsentwicklung. Bildung, die weniger theoretisch vermittelt, als praktisch erfahren werden kann. Bildung als Vertrauen in den (Lern-) Prozess selbst. Dabei ist ein wacher Geist ebenso wichtig wie eine gesunde Präsenz im Körper und Herzintelligenz.

Mit Begeisterung lernen

Der Neurobiologe Gerald Hüther hat herausgefunden, dass Botenstoffe im Gehirn sich nur vernetzen, wenn uns Lernen unter die Haut geht. „Veränderung geht nicht über Anstrengung. Lernen funktioniert nur, wenn ich es aus ganzem Herzen will, wenn es mich persönlich und gefühlsmäßig betrifft und wenn ich mich gemeinsam mit anderen auf den Weg mache“, sagte er bei einem Vortrag vor 200 Zuhörer*innen im ZEGG im August 2015.
Lernen gelingt, wenn alle Dimensionen des Menschen angesprochen werden, das heißt Körper, Geist und Seele. Deshalb gehören auch Gefühle und Bildung zusammen. Neben der Begeisterung helfen uns auch die als negativ bewerteten Gefühle wie Wut, Angst und Trauer, adäquat und ehrlich miteinander in Kontakt zu kommen. Sie liefern wichtige Informationen über eine Situation und wenn sie auftauchen, stellen diese Gefühle grundsätzliche Fragen: Was treibt mich an und wo will ich hin? Was ist mein eigentliches Bedürfnis? Es geht darum, zu lernen, die eigenen Bedürfnisse zu kommunizieren und mit den Bedürfnissen anderer sozialkompetent umzugehen.

In Beziehung lernen

Das Lernen in Beziehung ist im Bildungsverständnis des ZEGG eine notwendige Grundlage. Inhaltliche Lernprozesse sind niemals unabhängig von zwischenmenschlichen Prozessen. "Menschen lernen von anderen Menschen. Je beliebter der Lehrer ist, desto mehr bleibt hängen. Weil er Begeisterung vermitteln kann. Wo Freude und Gemeinsamkeit sind, sind Menschen viel offener, Neues anzunehmen", sagt Barbara Stützel, Kommunikationstrainerin im ZEGG-Bildungszentrum. 
Deshalb sind die Bildungsangebote im ZEGG als gruppenpädagogische Angebote ausgelegt. Sie zielen auf die Förderung von sozialen Kompetenzen und Kooperationsfähigkeit. So werden Vorurteile gegenüber Andersartigkeit durch gemeinsame Erfahrungen abgebaut. Und nicht zuletzt lernen Teilnehmende (und Leitende), sich selbst einzuschätzen und wahrzunehmen, um die eigene Position im persönlichen wie im gesellschaftlichen Umfeld zu finden. Im ZEGG werden Möglichkeiten zur Prüfung, Erweiterung oder Veränderung der Bilder und Vorstellungen eröffnet, die wir mitbringen. Das ist auch eine Einladung zu Kritik und Selbstkritik, Verfremdung und zum Einlassen auf störende Fragen.
Eine Methode, die im ZEGG entwickelt wurde, ist das ZEGG-Forum. Forum dient der Kommunikation und Vertrauensbildung in Gruppen von 10-40 Teilnehmer*innen. Sie sitzen dabei im Kreis und die Person, die spricht, tritt in die Mitte. „So lernt sie, sich für sich selbst hinzustellen und für sich selbst zu sprechen“, sagt Ina Meyer-Stoll, die seit vielen Jahren ZEGG-Forum leitet. Nachdem die Person von sich gesprochen hat, bekommt sie auf Wunsch Feedback, sogenannte Spiegel. „Sich gegenseitig Rückmeldung geben, hilft, zu erfahren, wie ich auf andere Menschen wirke“, so Ina Meyer-Stoll weiter. Eine gesunde Feedback-Kultur ist ein wichtiges Werkzeug für mehr Klarheit und Ehrlichkeit im Miteinander und unterstützt dabei, das eigene Potenzial zu erkennen.

„Es geht in Zukunft um Fähigkeiten, die sich nicht mehr allein entwickeln lassen, sondern die von Grund auf des Zusammenwirkens mit anderen bedürfen. Nur kollektive Intelligenzen können das.“ Jordan Greenhall

Erfahrungsschätze

Um leicht und nachhaltig zu lernen, hilft es, wenn die oder der Lernende einen Bezug zum eigenen Leben herstellen kann. Deshalb werden im ZEGG-Bildungszentrum Lernprozesse so gestaltet, dass die Lernenden sich einem Thema selbsterforschend nähern können. So werden Inhalte individuell neu erfahren und das Seminar ist kein abgeschlossener Ort mehr - sondern ein Erfahrungsraum, in dem sich innere und äußere Welt(en) tatsächlich begegnen können.
Ein Beispiel ist das Üben mit dem Konsensrad: Das Rad ist zunächst eine theoretische Beschäftigung mit den Themen Konsens, Berührung und Grenzen wahrnehmen und setzen. In einem Seminar wird zunächst ein Konzept durch die Referent*innen vermittelt. Anschließend sind dann die Teilnehmenden eingeladen, das Gehörte und Gesehene z.B. in Zweierkonstellationen anzuwenden. Das neue Wissen umzusetzen und sich anschließend über Erfahrungen, Widerstände und Erkenntnisse auszutauschen

Potenzialentfaltung und Herzensbildung

„Unsere Art zu leben und zu wirtschaften ist fragwürdig geworden. Es läuft irgendwie, aber alle wissen: So kann es nicht weiter gehen. Nur keiner weiß, wie es weiter gehen soll“, fasst Gerald Hüther eine Stimmung zusammen, die er in unserer Gesellschaft und auch bei Menschen in hohen Verantwortungspositionen beobachtet.
Diese Grundstimmung kann einerseits zu Frust, Ohnmacht und einem resignierten Ohne mich! führen. Doch sie kann ebenfalls zu einer Quelle von gewagten, neuen, nie gedachten Ideen werden. So oder so ist es der Aufbruch ins Ungewisse, der uns kreative (Lösungs-) Wege eröffnet. Und diese stellen das Leben mitunter gründlich auf den Kopf.
Menschen können im ZEGG erfahren, dass sie mehr Kraft haben, als sie für möglich hielten. 
„Die Menschen erfahren, wie viel sie bereits wahrnehmen und wissen. Sie können an eigene Ressourcen anknüpfen, Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen entwickeln“, fasst Ina Meyer-Stoll zusammen.

Ein Aufenthalt hier kann Erweiterung, Inspiration und Anstoß sein, eigene Werte wie Toleranz, Naturverbundenheit, Respekt, Kommunikation und Kooperation mit neuem Selbstvertrauen in die Welt und den Alltag zu tragen. Samenkörner, die in der Gesellschaft aufgehen.