Ein Workshop mit Daniel auf der Mauer

von Alicia Dieminger

Was bedeutet Präsenz? Und warum ist sie so wichtig für Konflikttransformation und Gemeinschaftsbildung?

Präsenz bedeutet, dass ich anwesend bin. Sie ist mehr als Achtsamkeit und braucht ein im Hier & Jetzt im Körper sein und wahrnehmen. Unser Nervensystem kann sehr fein wahrnehmen, ob der andere Mensch wirklich da ist. Oder ob er zwar körperlich anwesend, aber innerlich anderweitig beschäftig oder emotional blockiert ist. Dann spüren wir Absenz, eine mentale und emotionale Abwesenheit.

Dieses Fehlen von Einstimmung und Begegnung gehörte zu vielen Kindheiten und kann zu alten Wunden und Strategien der Beziehungssicherung führen.

Dann wende ich noch heute und oft unbewusst Strategien an wie zum Beispiel Klammern („Geh bloß nicht weg“), Pseudo-Autonomie („Ich schaff’ das schon alleine“) oder ein mich gut Darstellen („Schau, wie ich mich bemühe“, „Hab mich lieb, ich bin doch so toll“) – vor allem, wenn ich unsicher bin oder ein Konflikt entsteht. Diese Strategien entspannen sich erst wieder, wenn echte Präsenz erlebt wird: „Wenn da heute Anwesenheit ist, wo früher immer Absenz war. Wenn dein Nervensystem das mal ein paar Sekunden lang mitbekommt, dass wir es jetzt gemeinsam machen“, sagt Daniel auf der Mauer, systemischer Coach, Ausbilder, Mediator und Schüler von Thomas Hübl.

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Heilung ist nach ihm dann eine „Neuorganisation des Nervensystems um eine Präsenzerfahrung herum“. Wie ein Baum, der halb ausgetrocknet ist, weil es früher wenig Nahrung gab und der nun nach und nach Wasser und Licht bekommt und sich neu ausrichten kann. Gesunde Bezogenheit und Präsenz heißt dann, dass ich mich und dich gleichzeitig spüren kann.

Dass ich mich und die Welt gleichzeitig spüren kann.

Dagegen sind verbreitete Konflikt- und Traumastrategien:

Ich spüre nur die Welt/den anderen Menschen und mich nicht mehr. Oder:

Ich spüre nur mich und die Welt/den anderen Menschen nicht mehr.

Konfliktverhalten entsteht dann aus diesen Strategien und bei emotionaler Überwältigung: „Konflikt ist nie "da draußen" – er beginnt immer "hier drinnen": als innere Erfahrung von emotionaler Überforderung, von "zu viel",“ sagt Daniel. Als Alternative dazu bietet er traumasensible Konflikttransformation an. Seine Art der Begleitung nennt er „nervensystembasiert“ und betont, wie wichtig ein Einbeziehen des subkortikalen Nervensystems ist, d.h. nicht nur unseres Großhirns (des Cortex’), sondern auch der älteren Strukturen im Gehirn, die für die Verarbeitung von Emotionen, Sicherheitsbedürfnissen und Traumastellen zuständig sind.

Wenn wir emotional überflutet sind, gehen uns nämlich die kortikalen Fähigkeiten wie Denken, Empathie, das Einbeziehen eines Kontextes wie auch der Zukunft verloren. Das kennt wohl jede:r aus Angst- oder Streitsituationen. Wir tendieren dann zu einer

  • Unterdrückung der Gefühle: wir frieren ein, fühlen nichts mehr;
  • Projektion der Gefühle: wir unterstellen sie dem Gegenüber. Oder zu einem
  • kortikalen Shutdown: wir können nicht mehr klar denken.

Wie können wir einer Person im emotional überfluteten Zustand helfen?

Wie helfen wir ihr laut Daniel „die Hitze zu reduzieren statt nur den Deckel auf das kochende Wasser zu drücken“? Wenn ich selbst nicht getriggert bin, kann ich unterstützen

HändeBauch

  • die Emotionen zu verarbeiten;
  • mich als Gegenüber weiter spüren und bewegen und den anderen Menschen zum Atmen und sich selbst wieder spüren einladen;
  • eine Präsenzerfahrung anbieten und damit einen erweiterten Fühlraum zur Verfügung stellen.

Letzteres heißt, einem Bild von Daniel folgend: Wenn in deiner inneren emotionalen „Badewanne“ die Gefühlswellen hochschlagen, dann haben diese mehr Platz und schwappen nicht über, wenn ich als Gegenüber von meinem Nervensystem her ruhig bin und meinen inneren Swimmingpool andocke. Oder, wenn ich viel meditiere, sogar meinen inneren Ozean. So gab es im Workshop auch Raum für die spirituelle Anbindung: Meditation und Gebet, das Entspannen in die „Kernbeziehung“ zu Gott oder etwas Höherem.

Als konkrete Praxis hat Daniel das „Loopen“ entwickelt: Einem Dialog mit „loops of understanding“. Dabei kann Person A über einen Konflikt oder eine Emotion erzählen und Person B hört zu, stoppt immer wieder per Handheben bevor das eigene System überfüllt ist und solange B noch gut wahrnehmen kann. Dann antwortet B mit den Worten „Bei mir kommt an, dass...“. B spiegelt und vertieft gleichzeitig, indem die Nervensystemebene angesprochen wird. Zum Beispiel sagt

A: „Ich nehme ungern Hilfe an!“.

B loopt: „Bei mir kommt an, dass du es oft alleine machst“.

Beim Loopen sortiert B die Konzepte und Kognitionen von A hin zu Erfahrungen über Präsenz und Absenz. Ein weiteres Beispiel:

A: „Ich sollte mehr für den Kontakt zu X tun!“

B: „Bei mir kommt an: Du vermisst ihn.“

Neben dem Loopen beschäftigten wir uns auch mit Fragen zu unseren Konflikten im ZEGG der letzten Zeit. Zum Beispiel mit dem Generationswechsel oder mit der Frage, wie eine offenherzige Konfrontation aussehen kann, d.h. wie ich ein STOPP geben und trotzdem in Kontakt bleiben kann.

AulaLokiano

Wie bilden wir Gemeinschaft?

Natürlich bewegten wir auch die große Frage, wie wir Gemeinschaft bilden. Lieber horizontal (über Beziehungsklärungen und Augenhöhe) oder vertikal (über Anbindung nach oben, Bewusstseinshierarchie)? Daniel plädiert für eine Integration beider Wege und betont, wie wichtig Beziehung dabei ist. Denn ohne Beziehung würde zwar Wahrheit gesprochen, aber das innere Kind des Gegenübers fühle sich dennoch verlassen und könne die Erkenntnis, das Feedback nicht annehmen.

Zusammenfassend sagt er: „Das weiße Licht des Bewusstseins (die vertikale Anbindung) muss sich über das Sein als Mensch und über das Herz in ein goldenes Licht hin zu anderen Menschen verwandeln. Da sonst das weiße Licht ohne diese Liebe die Tendenz hat, verbrannte Erde zu hinterlassen.“

D.h. nur vertikale Transformation und Gemeinschaftsbildung funktioniert nicht. Und nur horizontale auch nicht, wenn nur Beziehungssicherheit für alte Absenzerfahrungen gesucht wird und keine wirkliche Reifung stattfindet. Deshalb brauchen wir uns als bewusste und präsente Gegenüber, um uns Rückmeldung zu geben und zu heilen. Wir brauchen beides: vertikale Erkenntnis und horizontale Wärme.

Und ein Bewässern der verbrannten Erde und der ausgetrockneten Wurzeln unserer Bäume durch heutige Präsenz. Dann geschieht Konflikttransformation und Heilung.

Mehr zu Daniel auf der Mauer und seiner Arbeit: www.aufdermauer.name