von Achim Ecker

Die Gemeinschaftsbewegung entspringt größtenteils den Vorstellungen und Wertesystemen einer postmodernen Kultur, die Diversität als höchstes Gut behandelt. Alle Meinungen, Wünsche, Bedürfnisse sind gleich wichtig gepaart mit einer Autoritätsangst. Das war eine Errungenschaft nach autoritären Systemen und einer einseitigen Ausrichtung auf Wissenschaft.
Was eine Errungenschaft war, wird jetzt zu einer Bremse. Es lähmt Entwicklung, denn die Unterscheidung in Wichtigeres und Unwichtigeres blieb auf der Strecke. Die Ausrichtung an Werten und die Anerkennung der positiven Entwicklungsunterschiede gehört an erste Stelle einer weiteren Stufe der Bewusstseinsentwicklung. Alles andere leitet sich von dort ab.

Als Dieter Duhm 1978 die Gemeinschaft „Bauhütte“ gründete, ging es um die Entwicklung einer Kultur ohne Zerstörung und Gewalt. Es war klar, dass es bei der Gemeinschaft um eine Ausbildung oder Experimentallabor ging, bei dem man eine gemeinschaftliche Haltung trainiert. Es sollte der zunehmenden Individualisierung etwas entgegengesetzt werden. Nämlich die Wieder-Eingliederung des Menschen in einen sozialen Raum, wo ich wieder erkenne, dass es nicht nur um mich geht und ich sozial Verantwortung übernehme für etwas Größeres. Es ging darum, soziale Rückkopplung zu kriegen, die mir ermöglicht mich immer feiner darauf auszurichten, dass mein Handeln dem Ganzen (und damit auch mir) dient.

Für das, wessen ich mir bewusst bin, kann ich Verantwortung übernehmen. Das Unbewusste, das automatisch geschieht, aus dem Schatten heraus, steuert mich. Ich kann es nur durch die Spiegel Anderer erkennen und an den Auswirkungen. Das haben wir trainiert und dann in Seminaren weitergegeben.

Gemeinschaft ist eine Haltung der Liebe und des Vertrauens. Wo ich natürlich auch für die Umwelt Verantwortung übernehme und sie nicht schädige. Es ist nicht notwendig in einer Gemeinschaft zu leben, um in diese Haltung, in diese innere „Stimmung“ zu finden, um die nötigen Schritte in eine globale Heilung mitgehen zu können. Jeder, der will und sich dahin ausrichtet, kann es. In Gemeinschaft ist es nur leichter zu lernen.

Gesellschaftlich beobachten wir eine zunehmende Beziehungslosigkeit. Wir kreiseln narzisstisch um uns selber und benehmen uns wie Kinder, die spielen und erwarten, dass die Eltern danach kommen, um aufzuräumen.

Beziehungsfähigkeit beginnt immer in erster Linie mit meiner Beziehung zu mir und ich erfahre mich selbst im Spiegel der Anderen. Gerade wenn Menschen sich näher kommen und anfangen wieder Vertrauen zu schöpfen, tauchen früher oder später all die Schatten, Ängste und Enttäuschungen auf, wegen derer wir uns voneinander getrennt und zurückgezogen hatten. Anfängliche Sympathie reicht da nicht. Bald ist man genervt voneinander und zieht sich zurück. Genau da ist es wichtig dabei zu bleiben und gemeinschaftlich nahe.

Vertrauen unter Menschen aufbauen

Vertrauen unter Menschen aufbauen heißt: sich dem Leben anvertrauen und einlassen und sich als Teil allen Lebens sehen. Die Realität anschauen wollen, statt sie zu negieren oder abzuwehren; zulassen und fühlen, wie es mir damit geht. Realität anschauen bedeutet, alles fühlen zu wollen. Es geht darum zu lernen liebevolle Beziehungen zu führen und ein Gewahrsein des Einsseins mit der ganzen Schöpfung wiederzufinden. Lebensfreude findet sich auf einer viel tieferen Ebene, als im Konsum. Es wird freudvoll, wenn wir uns wirklich in den Dienst am Leben stellen.

Wir sind in unserem Wesenskern oder höheren Selbst gut so, wie wir sind. Identifiziert mit unseren einmal gefundenen Bewältigungsstrategien, mit unseren ungeliebten brüllenden inneren Kindern, mit unseren Projektionen sind wir es nicht. Projektionen sind eine Form subtiler Gewalt. Damit verletzen wir Andere und die Welt. Jede Projektion ist eine Kontaktbremse, ist ein Kampf, den ich innen nicht führe gegen all die konditionierten Stimmen in mir und nach außen verlagere und dort bekämpfe. Jede Identifikation ist eine Entwicklungsbremse, denn sie trennt mich von dem, wie ich eigentlich bin. Den größten Teil des menschlichen Leidens macht der Mensch aus seiner Getrenntheit heraus.

Eckhard Tolle nennt „die Wurzel unseres Leidens die Identifikation mit dem fiktiven ICH. Man könnte das eine kollektive Geisteskrankheit nennen. So macht der Mensch sich die Welt zur Hölle.“ Die äußere Welt ist ein Ergebnis davon. Wir haben die Freiheit uns für oder gegen Liebe zu entscheiden. Das zu erkennen ist der Beginn von Freiheit. „Wenn wir in die Welt schauen, sehen wir die äußere Manifestation dieser Geisteskrankheit. Sie ist Jahrtausende alt. Es ist die Sucht nach emotionellem Leid, nach Recht haben Müssen, nach Problemen, die Identifikation mit einem Gedankengebäude. Das ICH hat nie genug. Dieses ICH bezieht alles auf sich selbst, auch wenn nichts Persönliches in der Situation ist.“

Im ZEGG machen wir kulturelle Arbeit mit dem Nebeneffekt der persönlichen Heilung und des Wachstums. Die (Geistes-)Krankheit kommt aus einer Kultur, die wir aufgebaut haben und ständig reproduzieren. Wertebildung und -orientierung liegen am Anfang des Aufbaus einer neuen, gewaltfreien Kultur.

Der Weg der Gemeinschaft

Transformatorische Gemeinschaft verstehen wir als einen Bewusstseinsweg, in dem wir mehr und mehr erkennen, wer wir sind – jenseits von Rollen, Gewohnheiten oder Bewältigungsstrategien. Je näher wir unserem eigenen (unverletzlichen) Kern sind, desto mehr gewinnen wir Vertrauen in andere Menschen und ins Lebendige. Ich muss mich ent-decken, kennen lernen und befreien vom Schutt erlernter Abwehr, Schutzstrukturen und Mustern aus Persönlichkeit und Ich. Die Arbeit ist der Weg zurück zum Wesenskern. Wer bin ich wirklich? Wo Menschen sich in diesem Bewusstseinsweg unterstützen und herausfordern, entsteht Gemeinschaft. Es wachsen die Fähigkeit zu Anteilnahme, das Wissen um den eigenen Beitrag und das Gefühl für Sinnhaftigkeit.

Liebe entsteht durch die Erfahrung von Verbundenheit

Man kann dem Leben vertrauen, dem Großen, dessen Teil wir sind; von dem wir ausgehen, um diese Erfahrung zu machen und zu dem wir wieder zurückgehen. Dort sind Heimat und Vertrauen angesiedelt. Wir alle sind auf dem Weg zur Liebe. Um den Weg gehen zu können, müssen wir uns alle die schmerzenden Stellen anschauen, sie annehmen, statt sie abzuwehren und nach außen zu projizieren; sie integrieren. Dazu braucht es unseren Mut, manchmal draufgängerisch, manchmal auch vorsichtig, um uns nicht zu überfordern. Kinder lernen z.B. oft, indem sie sich überfordern. Meist hält uns nur die Angst zurück eine Erfahrung zu machen und dann – verharrend in der Angst – sind wir nicht mehr auf unserem Weg. Die Freiheit besteht darin, das was auf uns zu kommt als Erfahrung zu sehen, oder – als Last und Gefahr, der wir ausweichen müssen. Es ist die Entscheidung über Bewegung oder Verharren in dauerndem Mangel.

Veränderung macht Angst. „Wie kommt jemand wieder mit all den lebendigen Anteilen und Bedürfnissen in Kontakt, die sie oder er bisher so tapfer unterdrückt hatte, um optimal zu funktionieren und möglichst erfolgreich zu sein? Das ist nicht möglich, solange eine Person mit den von ihr eingesetzten Verhaltensweisen und den ihnen zugrundeliegenden inneren Einstellungen und Haltungen noch recht erfolgreich unterwegs ist. Allein die Vorstellung einen endlich erreichten und zumindest als einigermaßen passend empfundenen Zustand aufzugeben, macht uns Angst. Deshalb lassen wir dann doch lieber alles beim Alten, halten fest an unseren Gewohnheiten und versuchen so zu bleiben, wie wir geworden sind. Menschen können sich grundlegend verändern, aber nur dann, wenn sie es auch selber wollen.
Jede Verletzung der Vergangenheit führte zu einem Kompromiss, den ich finden musste, der aber nicht abbildet, wer ich bin oder sein kann. Es braucht Destabilisierung, damit ich diesen Kompromiss aufheben kann und etwas mehr zu dem machen kann, was ich eigentlich leben will/sollte. Dazu müssen diese Muster erschüttert und destabilisiert werden. Wir müssten Gelegenheit bekommen, wieder mit unseren ursprünglich einmal ausgeprägten, dann aber zunehmend von uns und in uns selbst unterdrückten, abgespaltenen und verdrängten Anteilen und Bedürfnissen in Berührung zu kommen.“ (Gerald Hüther – Wege aus der Angst)

Gesellschaftsveränderung (oder Kulturwandel) ist ein Vollzeitprojekt

Dieter Duhm beschrieb es einmal so: Gemeinschaft braucht ein ungewöhnliches Durchhaltevermögen. Sie braucht Hingabe und eine starke Idee, ein Ziel, welches außerhalb eines nur persönlichen Wunsches nach Kontakt und Heimat liegt und das auch dann noch gilt, wenn die menschlichen Beziehungen wieder einmal wackeln. Sie braucht gute Methoden für die menschliche Konfliktbewältigung.

Sie braucht einige Trägerpersonen, die den Gemeinschaftsgedanken auch dann noch tragen, wenn vieles schiefgeht. Sie braucht die Kooperation der Trägerpersonen. Ein fester Trägerkreis ohne geheime Konkurrenzkämpfe um Macht und Position ist die Voraussetzung für jede Gemeinschaft, die etwas Größeres vorhat.

Sie braucht eine klare Infrastruktur. Jedes Mitglied soll wissen, an welchem Platz es steht und was seine Aufgabe ist. Sie braucht eine herrschaftsfreie Leitungsstruktur, bestehend aus Personen, die natürliche Autoritäten sind, weil sie die entsprechenden menschlichen und sachlichen Fähigkeiten haben und weil sie das Vertrauen der Gruppe besitzen. Diese Personen müssen charakterlich so weit entwickelt sein, dass sie ihre Position nicht für Zwecke von Eigennutz und Macht missbrauchen. Sie braucht die Professionalität ihrer Mitglieder.

Damit Vertrauen entstehen kann, braucht sie die Transparenz aller wichtigen Vorgänge und Entscheidungen. Sie braucht sexuelle und emotionelle Weichheit und Lebendigkeit, sonst wird sie steif, ideologisch kalt oder langweilig. Sie braucht die Wiederverankerung in den menschlichen Grundwerten von Nächstenliebe, Gastfreundschaft, Vertrauen und gegenseitiger Unterstützung.Bei guter Entwicklung und gutem inneren Wachstum kommt für jede Gemeinschaft die Zeit, wo sie ihre eigenen authentischen Lieder und Rituale findet und ihre eigenen Feste feiert.

 

Die Frage ist, womit ich dem inzwischen not-wendigen Kulturwandel am besten dienen kann im Moment. Wie kann ich in dieser schweren Zeit und der von der Politik geförderten Spaltung in der Gesellschaft gemeinsam mit anderen Verantwortung für das Leben übernehmen?