von Lennart Schütz 

Das diesjährige Sommercamp stand unter dem Motto „Kulturwandel 2.1 - Die Entscheidung“ - und das Livestream-Team hat es sich nicht nehmen lassen, das bei der Übertragung der Vorträge konkret werden zu lassen. Als Streamingplattform wäre es naheliegend gewesen, auf YouTube oder ähnliche etablierte Anbieter zu setzen. Dennoch entschieden wir uns, bewusst dagegen.

YouTube bietet kostenlos unbegrenzten Speicherplatz und Streamingkapazitäten, obwohl leicht nachvollziehbar ist, dass der Betrieb eines solchen Dienstes Geld kostet. Dem ZEGG wären also keine Kosten entstanden - wir hätten vielmehr mit der Privatsphäre der Zuschauenden bezahlt. Denn das Geschäftsmodell von YouTube (das zu Google gehört) ist - kurz gesagt - das Auswerten von Nutzungsverhalten und der anschließende Verkauf zielgerichteter Werbekampagnen.

Stattdessen haben wir die Vormittage des Sommercamps via https://fair.tube übertragen - einer Videoplattform, die die österreichische Gesellschaft fairkom betreibt. fairkom setzt konsequent auf Freie Software und wir arbeiten bereits seit einem Jahr sehr angenehm zusammen. fairkom bekam vom ZEGG also eine Nutzungsgebühr und hat im Gegenzug die Zuschauenden nicht ausspioniert. Das hat sogar so gut funktioniert, dass wir etwas traurig waren, so gar nichts über die Zuschauenden zu erfahren. Wir konnten nur sehen, wie viele Menschen live zuschauen und wie oft die Aufzeichnungen anschließend abgerufen werden, jedoch nicht, aus welchem Land der Abruf erfolgt oder ob „bekannte Gesichter“ dabei sind.

Aber was hat es nun mit dieser „Freien Software“ (auch bekannt als "Open Source" oder FOSS) auf sich? Frei bedeutet zunächst mal, dass die Software keinem profitgetriebenen Unternehmen gehört, und dass der Software-Quellcode frei zugänglich ist. Jede*r ist eingeladen, den Code zu überprüfen, daran mitzuarbeiten oder Codefragmente, die für ein eigenes Projekt nützlich sind, zu übernehmen. Freie Software wird also nicht verkauft - es ist allerdings erlaubt, Geld mit Support oder dem Betreiben der Software zu verdienen. Der freie Zugang zum "Bauplan" der Software sorgt dafür, dass die Software ziemlich vertrauenswürdig ist - wenn sie schädlichen Code enthielte, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das einigen der Beitragenden schnell auffallen würde. Da freie Softwareprojekte üblicherweise nicht gewinnorientiert ausgerichtet sind, hat auch niemand Interesse, die Nutzenden in einen „goldenen Käfig“ zu stecken. Man behält die volle Hoheit über die eigenen Daten und es wird einem nicht unnötig schwer gemacht, sie bei Bedarf woanders hin umzuziehen. Auch ist man keinem Anbieter ausgeliefert, der nach Gutdünken entscheidet, wer den Dienst nutzen darf - wie etwa bei der Firma Zoom geschehen, die chinesischen Menschenrechtsaktivisten die Nutzung verweigert hat.

Das sind nur einige von vielen Gründen, warum wir im ZEGG zunehmend auf Freie Software setzen, und dafür auch spenden beziehungsweise bezahlen. Beispiele sind schon seit Längerem das Mailprogramm Thunderbird oder das Officepaket LibreOffice. Im vergangenen Jahr kamen Jitsi und BigBlueButton für Videokonferenzen und Live-Events dazu, aktuell führen wir CiviCRM ein, um den Kontakt zu unseren Spender*innen besser zu pflegen. Kennzeichnend ist dabei häufig der vertrauensvolle Kontakt zu dem Anbieter, der die Software für uns betreibt oder anpasst - meist ist man schnell per du, hat ein überschaubares Team aus festen Ansprechpartner*innen und findet gemeinsam auf Augenhöhe eine Lösung, wenn mal etwas nicht läuft wie erwartet. Obendrauf kommt das gute Gefühl, mit unserem Geld Unternehmen zu unterstützen, die ihren Teil zum Kulturwandel beitragen. Nicht zuletzt ist der Einsatz Freier Software ein Baustein bei der Gemeinwohl-Orientierung des ZEGG.

Mühsam ist lediglich, dass freie Softwareprojekte selten große Marketingabteilungen haben oder ein Heer an Spezialisten, die sich damit beschäftigen, wie man die Nutzeroberfläche möglichst „sexy“ gestaltet und die Nutzenden so an sich bindet - all das liefe ja der Grundidee zuwider. Diese „Lock in“-Mechanismen kommerzieller Software sind subtil und manches Mal perfide, so dass es kontinuierlicher Überzeugungs- und auch Aufklärungsarbeit innerhalb des ZEGG bedarf, um nicht doch wieder bei den weithin bekannten Programmpaketen zu landen, die zwar verlockend bequem, aber bei genauem Hinsehen eben auch schwer mit unseren Grundwerten vereinbar sind.

Zum Weiterlesen:


Der Bundesverband Smart City e.V. unterstützt gemeinwohlorientierte Unternehmen bei der Einführung freier Software

Plädoyer für ein gemeinwohlorientiertes digitales Ökosystem

Statement des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik zu freier Software

Und: die Aufzeichnungen vom Sommercamp stehen noch bis Mitte Oktober auf fair.tube bereit.