oder: warum eine schönere Welt zu manifestieren, ähnlich ist, wie Nichtraucher*in zu werden
von Dirk Adams und Silke Chorus
„Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich!“. In diesem Buchtitel des Kulturphilosophen Charles Eisenstein stecken gleich zwei gute Nachrichten Nicht nur, dass die Transformation in eine schönere Welt möglich ist, sondern: Unser Herz kennt die schönere Welt schon!
Diese schönere Welt beschreibt Eisenstein als eine, in der wir uns tagtäglich erleben als verbunden mit allen Menschen, Lebewesen und dem Kosmos, und das nicht nur physikalisch und biologisch erforschen oder theoretisch ergründen. Verbundenheit als alltägliches uns immer präsentes Bewusstsein. Das Yoga-Feeling also – aber halt jeden Tag und immerfort, als Alltagsbewusstsein, welches unser Denken, Handeln und Fühlen maßgeblich bestimmt. Noch ist diese Form des Erlebens – eigentlich eine Form das eigene Sein zu erleben – die Charles Eisenstein unter Rückgriff auf Tich Nathan „Interbeing“ nennt, nur bei wenigen Menschen fest im Alltagsbewusstsein etabliert. Viele spirituelle und indigene Traditionen erzählen von dieser Erlebnis-Möglichkeit des Seins und schaffen Rituale und Praktiken, um dahin zu kommen. Aber auch ohne eine spirituelle Praxis haben die meisten Menschen eine oder mehrere Erfahrungen gemacht, in dem ihr Erleben plötzlich und zeitlich begrenzt einen Shift gemacht hat: vom vereinzelt-getrennten Individuum zum komplex verwobenen und eingebetteten „Interbeing“.
In solchen Momenten wird plötzlich erlebbar, wie der einzelne Mensch Teil von einem großen Ganzen ist: eingebettet, bezogen, abhängig, verletzlich und erhaben zugleich. Beispielsweise bei der Geburt eines Kindes oder dem Tod eines geliebten Menschen, in der Solidarität oder in der Liebe, bei der Meditation, beim Tanz, oder alleine auf einer Bergspitze, im Wald oder auf der Wiese. Besonders auch im Leben in Gemeinschaft kommt es immer wieder zu solchen Momenten, sei es beim gemeinsamen Tanzen, Singen, beim Austausch oder beim gemeinsamen Arbeiten. Die meisten Menschen erleben sich in ihrem Alltag jedoch als einzelne Individuen, die ihre Ziele verfolgen und dafür mit anderen Individuen in Kontakt und Kooperation oder auch Konkurrenz treten. Die Natur wird (noch) von vielen als ein Stapel Ressourcen erlebt, den der Mensch für seine Zwecke nutzen kann. Der Sinn vieler Leben ist individuell gut durchzukommen und, sofern möglich, auch erfolgreich das eigene Leben zu meistern. Auf dieser Art des Selbst-erlebens baut unser gesamtes Zivilisations- und Wirtschaftsmodell auf.
Die alte Welt bröckelt – eine schönere ist möglich!?
Gleichzeitig wackelt und kriselt dieses Wirtschafts- und auch Zivilisationsmodell. Eisensteins optimistische Prognose ist, dass ein neues Zeitalter (die schönere Welt) möglich und im Entstehen ist. Das ist die zweite gute Nachricht aus seinem Buch. Die vielen Krisen, die wir erleben, sind ihm nach Anzeichen von einem „Absterben“ unseres alten Zivilisationsmodells. Wie befinden uns in einer Zeit zwischen den Zeiten: das alte geht zu Ende und das Neue ist noch nicht da.
Auch die Tiefenökologin Joanna Macy sieht diesen Übergang, den sie die Große Transformation nennt: Wir, die in dieser Zeit leben, seien gleichzeitig Sterbebegleiter für eine endende Kultur und Hebammen für eine neue langfristig lebenserhaltende Welt. Beides findet zur gleichen Zeit statt. „Wir sind mittendrin und können Einfluss nehmen, wie sich dieser Übergang vollzieht“
Wir erleben nach Macy gerade nicht weniger als die Herausbildung eines gänzlich neuen Paradigmas. Das bedeutet, eine grundsätzlich veränderte Sichtweise auf die Welt und als Teil davon auf die Menschen, den Sinn des Lebens und den Sinn und Zweck des Kollektivs. Es geht um Verbundenheit, um Heilung, Schönheit, Teilen. Es geht um andere Formen des Wirtschaftens und eine grundsätzlich veränderte Haltung zur Natur und der Nutzung der natürlichen Ressourcen und unserer Einbettung in den Kosmos.
Und wir sind alle ein Teil von diesem Wandel. Gestalten ihn. Vollziehen in. Oder eben auch nicht.
Die schönere Welt scheitert an meiner Inkonsequenz?
Seit zwei Jahren habe ich eine Liste, auf der noch mindestens fünf Dinge stehen, die ich zu erledigen habe, um „mein Leben“ nach den Werten zu leben, für die ich mich entschieden habe. Dabei ging es vor allem um „Kleinigkeiten“: mein Konto umziehen zu einer sozialen Bank, damit wenigstens mein Geld nicht noch mehr Schaden anrichtet, wirklich nicht mehr zu fliegen, wirklich keine Macht über meine Kinder auszuüben, auch wenn ich mal in Not/ Stress kommen, wirklich keine neuen normal produzierten Klamotten zu kaufen (denn neue Klamotten habe ich über den Geschenketisch der Gemeinschaft oder Verschenke-Ecken im städtischen Raum genug), das Essen vom Inder in der eigenen Box zu holen, etc..
Und ich beobachte, dass nicht nur ich mit dieser Art von Alltagskonsequenz, die v.a. uns privilegierte Menschen nicht viel kostet, ein Problem habe. Wenn ich mir dazu vergegenwärtige, dass ich außerdem noch im Bereich von Transformation arbeite und sie predige, und privilegiert bin, wird mir ganz schwindelig. Wie soll das dann im Großen und Ganzen funktionieren, wenn ich schon so langsam damit bin?
Was braucht es, damit wir die Dinge, die wir jetzt schon einfach tun können, ohne dass wir deshalb ein grundsätzlich viel anstrengenderes und schlechteres Leben hätten, ganz einfach zu machen? Warum ist es so schwer, auf dieser Ebene konsequent zu sein, den „Talk“ auch wirklich zu gehen, den alten Drachen nicht noch weiter mit unserem Verhalten zu füttern, sondern die schönere Welt wenigsten im Kleinen schon zu manifestieren?
Weil wir bequem und faul sind? Weil uns unsere Privilegien dann doch zu lieb sind? Weil es kein richtiges Leben im Falschen gibt, es zu kompliziert ist, zu aufwendig? Und sowieso sinnlos ist? Es geht ja darum, das Große zu verändern und nicht in erster Linie den eigenen individuellen Konsum. Und war es nicht sogar Shell oder BP, die die Idee des individuellen Fußabdrucks in Umlauf gebracht haben, um abzulenken davon, wie die große Industrie skrupellos unseren Planeten vergiftet und verschleißt? Ja. Bestimmt auch all dies.
Bei mir selbst habe ich allerdings inzwischen eine viel banalere, und irgendwie auch grundsätzlichere Erklärung für meine „Inkonsequenzen“ gefunden: Das alte Paradigma steckt in (fast) jede/r meiner Gewohnheiten! Und: mein Alltag besteht zu einem überwiegenden Anteil aus Gewohnheiten. Damit mein Alltagsverhalten zu der schöneren Welt beiträgt, den Wandel unterstützt, muss ich mir neue Gewohnheiten antrainieren. Und das ist schwer. Und mühsam. Das weiß man inzwischen aus der Gewohnheits- und Erfolgsforschung.
Wenn ich meine Vision von der schöneren Welt habe und es dann verpasse, mir dazu passende Gewohnheiten anzulegen und alte Gewohnheiten abzulegen, wird es nichts mit der schöneren Welt. Ganz ähnlich dem Nichtraucherin werden: Wenn ich mir vor allem ausmale wie schön es wäre, nicht mehr zu rauchen, mir aber nicht überlege, wie ich mir neue, gesündere Gewohnheiten antrainiere, die ich an die Stelle des Rauchens setzte.
Gewohnheiten ändern: Die neue Welt zu manifestieren ist also wie Nichtraucher*in zu werden
Da wo ich mein Verhalten verändere, weil ich meine Gewohnheiten verändert habe (und nicht, weil ich gute Vorsätze habe) ist es nicht mehr schwer, muss ich nicht mehr darüber nachdenken, frisst es keine Energie. Das gilt sowohl für meine Kommunikationsgewohnheiten, als auch für meine Konsumgewohnheiten, Mobilitäts- und Reisegewohnheiten als auch meine Elterngewohnheiten im Umgang mit meinen Kindern. Dann kann ich auch meine Energie in politische Aktion investieren, und trotzdem in meinem Alltagsleben die Werte schon leben, aus denen diese schönere Welt gemacht ist. Dabei unterstützt es mich natürlich sehr, eine Vision zu haben von einer schöneren Welt, oder mich als Teil einer größeren Gemeinschaft von Gleichgesinnten zu erleben, oder nach meiner Yoga-Praxis den Baum vor meiner Tür zu gießen, wenn der Sommer trocken ist und dabei zu spüren, dass ich damit auch mich „gieße“. Visionen, Gemeinschaft und Einheitserfahrungen sind also durchaus relevant bzw. Gewohnheiten sind nicht alles aber ohne neue Gewohnheiten ist das alles nicht viel.
Was von dem Neuen passiert durch mich? (jeden Tag!)
Wie verlerne ich toxischen Gewohnheiten, die unseren Planeten zerstören und auf der Ausbeutung anderer Menschen und Tiere basieren? Wie lerne ich neue, gesunde, nachhaltige und lebensbejahende Gewohnheiten?
Hier kann man von der Erfolgsforschung lernen. Ja, die Vision ist wichtig. Sie ist wie ein Leitstern. Allerdings: kann ich auch mein ganzes Leben in den Himmel und zu den Sternen gucken, und mich keinen Schritt darauf zu bewegen. Je unerreichbarer meine Vision scheint, desto wahrscheinlicher ist es, dass ich mich gar nicht erst in Bewegung setzte. Ich brauche also auf dem Weg zu meiner Vision kleinere Zwischenziele: Wenn ich an die schönere Welt denke – und dann auf mein Leben gucke, jetzt, wie wäre denn der erste Schritt in diese Richtung? Ja, das alte Konto kündigen. Ja ein Familienklimarat einberufen. Ja nur noch einmal die Woche baden. Ja, ein Familien- oder WG-Klimarat einberufen. Ja, nur noch einmal die Woche baden. Ja, nur noch im Bioladen kaufen. Ja den Konflikt mit meinem Partner gewaltfrei lösen. Ja, mich selbst nicht verurteilen, weil ich nicht alles schaffe. Ja, mich diesen Sommer wieder um Bäume zu kümmern. Und wenn ich diese „Kleinigkeiten“ sehe als meine ersten Schritte auf meinem Weg zur schöneren Welt, auf die viele weitere Schritte folgen werden, sobald diese ersten Schritte zu Gewohnheiten geworden sind, dann wird es leicht, denn dann sind es meine ersten Schritte zu „den Sternen“ (bzw. zur schöneren Welt) und dafür hab ich Kraft und Motivation.
Der Erfolgscoach Veit Lindau nennt die Fähigkeit eine Vision in die Wirklichkeit zu bringen „Manifestationskompetenz“. Ein bisschen vereinfacht gesagt: es gibt nichts Gutes, außer man tut es! Charles Eistenstein schreibt dazu: „Der Schlüssel liegt in euch, in eurem Gefühl, dass jede eurer Handlungen, selbst euer persönliches, einsames Ringen, Bedeutung hat. Alles, was ihr tut, zählt.“
Und gleichzeitig gibt es beim Tun auch wieder einige Stolpersteine: z.B. geht es auch nicht darum, in blinden Aktionismus zu verfallen. Ich kann auch mit viel Druck, Aggression, Stress, Selbsthass und Zerstörungstrieb versuchen, diese schönere Welt zu manifestieren und ich werde immer in der alten Logik bleiben, auch wenn ich es „gut“ gemeint habe. Es geht also darum auch im Tun immer wieder innezuhalten und mich zu fragen: „was von dem Neuen passiert durch mich?“ und zwar: täglich. Immer wieder. Bis die alten zerstörerischen Gewohnheiten nach und nach ersetzt sind durch neue Gewohnheiten. Gewohnheiten, für eine schönere Welt, die unser Herz schon kennt und die möglich ist!
Dirk Adams lebt im ZEGG, ist Trainer und Berater, sowie Geschäftsführer bei context - interkulturelle kommunikation & bildung köln/berlin. Er begeistert sich für Gewaltfreie Kommunikation, Theorie U, Beteiligungsprozesse und gesellschaftlichen Wandel. www.context-bildung.de
Silke Chorus ist Trainerin, Doktorin der Politikwissenschaften und Coach. Ihr Schwerpunkt ist die Frage nach Veränderung. Sie versteht sich als Transformationsmentorin. Sie bietet Coaching, Begleitung, Mediation, Supervision und Training für Einzelpersonen und Teams in Veränderungssituationen an. www.silke-chorus.com /
Gemeinsam bieten sie im August ein Seminar im ZEGG Bildungszentrum an, in dem es um die kleinen und großen (gewaltfreien) Visionen und Schritte zum großen Wandel geht: GFK und Sozialer Wandel, 19.-22.08.2021 im Zegg (Klick für mehr Infos / Anmeldung)
Literatur:
Charles Eistenstein (2017): Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich. München
Joanna Macy und Chris Johnstone (2012): Active Hope. How to Face the Mess we're in without getting crazy.New World California
Veit Lindau (Erfolgswerk, Kurs auf der Online Plattform Homodea)