von Christian Bliss

Das ZEGG ist eine Insel. Das hört man immer wieder – sowohl von Gästen und auch von Bewohner*innen. Stimmt das eigentlich? Und wenn ja, was ist damit gemeint? Ist das eher ein Prädikat oder eine Abwertung? Ist das unsere Schublade: der Sockel der Andersartigkeit? Bedeutet es, dass wir nicht ernst genommen werden? Oder ist es ein Gütesiegel? Eine Annäherung an das ZEGG, wie es ist.

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Das ZEGG ist keine Insel

Wir sind professionell geworden. Gemeinnützig. Eine etablierte Größe und regionaler Wirtschaftsfaktor, ausgezeichnet durch mehrere Agenda-21-Preise für innovative, nachhaltige und zukunftsfähige Projekte. Wir sind Arbeitgeber, Ausbildungsbetrieb und Einsatzstelle für Freiwillige im Ökologischen Jahr und Bundesfreiwilligendienstleistende. Verschiedene regionale Versorger beliefern uns und die Beziehungen zu lokalen Behörden und Medien sind sehr gut.

Hier ist nicht mehr Bullerbü, die Zeiten haben sich geändert. Gedanken von Ökologie und Suffizienz statt Wachstum und Konsum sind anschlussfähig geworden – was früher noch als weltfremde Spinnerei belächelt wurde, gilt heute als sozial-ökologische Antwort auf die globalen Krisen. Gemeinschaften und Ökodörfer werden allmählich zu Vorbildern. Und das ZEGG wird wahrgenommen als das was es ist: Eine Vorreiterin für einen tiefgreifenden kulturellen Wandel.

Allerdings reicht es uns nicht, die Dinge im Außen zu verändern. Die Umweltkrise ist ja auch die Folge einer Innenweltkrise. Erst wenn wir Menschen unsere Innenräume aufräumen und klären, kann daraus eine liebevollere Welt entstehen. Das ZEGG will die Kultur eines vertrauensvollen Miteinanders nicht nur zu erforschen, sondern weitergeben. Und dafür brauchen wir den Austausch mit unseren Gästen, um uns in Bewegung zu halten.

Das ZEGG wird in Medien und Öffentlichkeit nicht nur wahr-, sondern zunehmend auch ernst genommen: Wöchentlich erreichen uns Anfragen von Journalist*innen. Und vor kurzem gab es eine neue Reportage in der WDR-Reihe „Menschen hautnah“, die 45 Minuten über das ZEGG berichtet – und zwar ohne den ironischen Unterton, den die Medien uns gegenüber immer wieder hatten. Die Doku ist noch in der ARD-Mediathek verfügbar unter WDR / Menschen hautnah - nicht verpassen!

Und dann natürlich unser brummendes Bildungszentrum, das bis vor der Coronakrise aus allen Nähten platzte, mit jährlich durchschnittlich 18.000 Übernachtungen von etwa 3.800 Gästen. Und das ist auch ein Abbild davon, dass es immer mehr Menschen gibt, die aus dem „weiter-so“, aus ihren Hamsterrädern und ihrer Vereinsamung raus wollen – und die im ZEGG wertvolle Erfahrungen finden und neue Entwicklungsimpulse mit nach Hause nehmen.

Fast 500 Menschen fördern das ZEGG jährlich mit Einzel- oder Dauerspenden (Danke, dass du eine*r davon bist!) und es gibt sowohl zahlreiche Gemeinschaften als auch Stadt- und Regionalgruppen, die vom ZEGG inspiriert sind. Wir sind international vernetzt mit anderen Gemeinschaften. Und einige aus dem ZEGG begleiten diese teilweise über mehrere Jahre mit Forum und anderen Methoden.

Nein, wir sind längst keine Insel mehr. Auch ökologisch gesehen: Der Klimawandel macht an den Toren des ZEGG ja nicht Halt, auch bei uns sinkt der Grundwasserspiegel und die Bäume sterben. Wir sind ein Teil unserer Umwelt, der Erde, der Menschheit. Ein weiterer Grund, uns mehr und mehr als gesellschaftlicher Player zu sehen, der Antworten zur sozialen und ökologischen Fragen hat – aus 30 Jahren experimenteller Gesellschaftsgestaltung im ZEGG.

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Das ZEGG ist eine Insel

Ein Insel-Dasein hat auch etwas für sich. Wir sind in vielerlei Hinsicht unabhängig und autark. Wir stellen über 95% unseres Wärme- und Strombedarfs selber her. Durch unseren Brunnen und unsere Pflanzenkläranlage haben wir einen eigenen Wasserkreislauf und sind nicht an die kommunale Versorgung angeschlossen. Den Großteil unserer Lebensmittel produzieren wir selbst in unserem Garten. Und in unserer Schreinerei und der Schrauber-Werkstatt stellen wir Türen, Möbel und andere benötigte Gegenstände her und setzten auf Reparaturen statt auf Neukauf.

Um neue Wege zu gehen, ist es nötig, sich immer wieder von gelernten Mustern und konventionellen Wegen zu lösen. Die Effizienzgedanken und bewährten Sicherheiten auch mal loszulassen und z.B. mit neuen Baustoffen, alten Gemüsesorten oder partizipativen Organisationsformen zu experimentieren. Oder mit offenen Geschlechterrollen und neuen Beziehungsformen. Dazu muss man sich auch ein Stück von gesellschaftlicher Vereinnahmung abgrenzen, sonst geht das nicht.

Das ZEGG ist bekannt für neue Wege des Zusammenlebens. Wir entwickeln und erforschen neue Formen der Beziehungsklärung und beschäftigen uns mit der Heilung von kollektiven Traumata in Liebesbeziehungen und Sexualität. Es gibt eine hohe soziale Dichte mit all den internen Gemeinschaftstreffen, Liebesforschungsgruppen, Ausbildungsgruppen und Wir-Räumen. Dazu verabreden sich Menschen sich zum counseln und begleiten einander in Konflikt- und Beziehungsklärung. Und das braucht einen gewissen Schutz.

Ja, wir sind eine Insel. Manchmal ist das auch ganz schön anstrengend und emotional aufgeladen. Und manchmal drehen wir uns auch ziemlich um uns selbst und die immer gleichen Themen. Andererseits würde es das ZEGG wohl nicht mehr geben, wenn wir nicht in einem fortwährenden Prozess von Beziehungsarbeit bleiben würden.

Die Liebe ist ja bekanntlich kein fester Zustand, sondern eher eine Fähigkeit, die sich immer tiefer in uns entfalten will. Im ZEGG gibt es den Raum und die Kompetenz, sich intensiv mit den eigenen Entwicklungsprozessen zu beschäftigen. Wir sind ein Biotop und bereiten den Boden für eine neue Kultur – liebevoll, nachhaltig, selbstverantwortlich und resilient. Und mehr noch: Unser Gemeinschaftsfeld ist die zentrale Grundlage für unsere Bildungsarbeit. Ohne dieses Feld wären wir ein Tagungsort wie jeder andere. Es ist der Gemeinschafts-Spirit, der die Menschen ins ZEGG zieht. Die Möglichkeit für Erfahrungen, die es „da draußen“ nicht gibt. Und das ist gut so!

 

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Die Mischung macht‘s

Wir wollen und müssen wohl beides sein: eine Insel. Und keine Insel. Und es wird immer wieder eine Herausforderung sein, beiden Seiten gerecht zu werden. Kohärent zu werden und zu bleiben. Uns mit uns selbst zu beschäftigen UND das Außen im Blick zu behalten. Uns der zunehmenden Nachfrage und der drängenden Bedarfe unserer Gesellschaft zu stellen UND zugleich unseren Gemeinschaftskörper zu nähren und uns mit den Tiefen des menschlichen Daseins zu verbinden. Nach außen wirksam zu sein UND zugleich nach innen angebunden.

Wie nimmst du das ZEGG wahr? Und was wünschst du dir vom ZEGG? Schreib es uns! Du förderst uns ja bestimmt auch finanziell, weil du das aus dem eigenen Leben kennst: das Ringen darum, eine Balance zwischen deinem Handeln und deiner Innerlichkeit herzustellen, oder? Wir wünschen dir das Beste dafür!