von Barbara Stützel

Die Krise schenkte uns die Einsicht, dass wir unterschiedlicher denken und wahrnehmen als vorher gedacht – und dass es nötig ist, uns damit zu beschäftigen. Gleichzeitig schenkte sie uns auch immer wieder neu die Zeit dafür, da bereits geplante Aktivitäten ausfallen.

Wie auch im Rest der Gesellschaft reagierten die Menschen im ZEGG je nach Biografie und Weltbild unterschiedlich auf die Situation. Heftige Konflikte entstanden. Ein Teil der Gemeinschaft unterstützte Abstand und Maßnahmen und wollte folglich keine Gemeinschaftstreffen – aus Rücksichtnahme auf andere, Sorge um die eigene Gesundheit, aus Solidarität und schlichtweg, weil unser Platz ein öffentlicher Platz ist und im Rampenlicht steht. Ein anderer Teil fand, wir müssen uns gerade in der Krise zusammensetzen und beraten. Der Ruf nach mehr Gemeinschaftstreffen und Austausch wurde laut. Dieser Teil der Gemeinschaft bewertete die Informationen und Risiken anders und sah unseren Beitrag zur Öffentlichkeit darin, die Situation kritisch zu hinterfragen und den als widersprüchlich empfundenen Maßnahmen nicht einfach zu folgen. Bei einigen wurde der Beitrag der psychischen Gesundheit durch Nähe und Vertrauen im Gegensatz zur Angst auf das Immunsystem betont, was wiederum für Treffen sprach.

Die Situation eskalierte, als jemand sich tatsächlich bei einem Treffen außerhalb ansteckte und damit Corona zum dritten Mal ins ZEGG kam. Infizierte und mögliche Kontaktpersonen gingen in Quarantäne. Und wieder fühlten sich beide Seiten bestätigt – ja, man kann sich und andere anstecken und nein, für die Menschen hier waren die Verläufe leicht (zum Glück). Dann tat die lange Quarantänezeit ihr Übriges, dass die Polarisierung sich zuspitzte, denn die Gespräche mit der gefühlt anderen Seite fanden nicht statt.

Hier kommt jetzt die Psychologie ins Spiel - wir Menschen nehmen Informationen wahr abhängig von unseren Filtern und Überzeugungen. D.h. wir hören eher das, was wir eh schon glauben. Wenn Angst im Spiel ist, findet dies noch einmal verstärkt statt und so kommen heftige Reaktionen zustande, die dann ihrerseits wiederum genau das auslösen, was man befürchtet („self fulfilling prophecy“). Selbst nach 30 Jahren Gemeinschaftsübung fielen einige in diese Muster – und so polarisierten sich die Unterschiede und die verschiedenen Dimensionen wurden zusammengepackt: Sinnhaftigkeit der Maßnahmen, Umgang mit Krankheit und Tod, Wunsch nach Intensität von Gemeinschaftsleben, Verantwortung, Einschätzung der Bundesregierung (unabhängig vs. von Konzernen beeinflusst), welchen Wandel der Gesellschaft jemand will.

Auswüchse waren z.B.: wer Maßnahmen befürwortet und sich zurückzieht, nutzt es als Vorwand, sich von Gemeinschaftstreffen zurückzuziehen. Oder: wer dagegen ist, stellt sich außerhalb der Gesellschaft. Wer das System ändern will, muss die Regierung und unsere Medien kritisch hinterfragen. Wer die Regeln befolgt, tut dies nur aus persönlicher Angst, etc.

Wir sagen: Gemeinschaft besteht zu 90 % aus Kommunikation. Der Konflikt war ein klarer Fall von Nicht – Kommunikation und Weiterverbreitung von ungeprüften Annahmen. Also beriefen wir so genannte „Klärungstage“ ein. Einige Tage trafen sich die Gemeinschaftsmitglieder täglich für einige Stunden, um sich wieder wahrzunehmen, zu spüren und einen „Reality Check“ zu machen: Hat die andere Person wirklich das gesagt, getan und gemeint, was ich erlebt habe? Oder das gedacht und gemacht, was ich in sie hinein interpretiert habe?

Langsam lösten die sich gegenüber stehenden Gruppen wieder auf in einzelne Menschen, die mal so mal so denken. Man kann das System ändern wollen und trotzdem die Maßnahmen für sinnvoll halten. Man kann die Maßnahmen in Frage stellen und gleichzeitig für Rechtsstaatlichkeit eintreten. Man kann Gemeinschaftstreffen lieben und sich für die Zeit der Pandemie auf Abstand halten. Man kann die Mainstream Medien hinterfragen ohne Verschwörungstheorien anzuhängen. etc.

Auch danach ist vieles noch nicht geklärt – aber viel ausgesprochen. Es wurden alte und neue Verletzungen wahrgenommen. Vorschnelle Verurteilungen wurden sichtbar und teilweise überprüft. Manche beharrten noch auf Gerüchten und Projektionen. Aber vor allem konnten wir Dinge, die sich übereinander gelagert hatten, wieder differenzierter sehen. Und es wurde deutlich, dass verschiedene Menschen Gemeinschaft unterschiedlich leben wollen und dass es auch darüber wieder mehr Verständigung braucht. Diese muss weitergehen.

Was sicher weitergeht, ist, dass wir alle wacher geworden sind, wo wir unhinterfragte Annahmen als Wahrheiten weitergeben und damit einen Konflikt eskalieren.

Also: wenn du etwas denkst, was dich vom anderen trennt: überprüf es!