von Wolf Hingst

Bei der Besprechung für den nächsten Newsletter taucht das Thema „Rituale“ auf und findet gleich großen Anklang: „Wir haben im ZEGG so viele Rituale, und sie machen einen wirklichen Unterschied für das Leben hier“, sagt Barbara. Gemeinsam tragen wir zusammen und überlegen, was ist ein Ritual und was nicht? Was ist der Unterschied zwischen Ritual, Zeremonie und Tradition? „Sind die Spülschichten Rituale? Wohl eher Tradition – wenn auch eine sehr wichtige“, lacht Wolf. „Ja, und auch die sonntägliche Matinee und das Treffen der Gemeinschaft am Mittwochnachmittag sind Tradition“, ergänzt Bill. Und dann gibt es Baumzeremonien und Taufen und Eröffnungsrituale und das Forum als ritualisierte Form der Kommunikation…

Letztes Jahr hat Christian bereits einen interessanten Artikel über die Jahreskreisfeste im ZEGG geschrieben. „Die Jahreskreisfeste laden ein, sich mit der Natur und den Wachstumszyklen zu verbinden. Im Frühling den Samen in die Erde pflanzen und im Herbst die Ernte einfahren. In allen Kulturen gab es diese Tradition. Im Keltischen gibt es neben den vier Sonnenwendfesten auch vier Mondfeste“, erklärt Christian. „Die bekanntesten sind Beltane (Walpurgis) und Samhain (Halloween). Hier im ZEGG ist uns Beltane besonders wichtig, das dem Eros und den archaischen Kräften von männlich und weiblich gewidmet ist.“ Die Sonnenwendfeste zelebrieren wir am Kristalldom, um uns auf die Vorhaben der bevorstehenden Zeit auszurichten. Diese Tradition gibt es schon seit den Anfangszeiten des ZEGG.

„Am 22.9. hat das ZEGG Geburtstag – das fällt fast mit der Herbstsonnenwende zusammen und das wollen wir künftig mehr feiern. Also quasi eine Tradition in Entstehung“, scherzt Barbara. „Neben den großen Festen und Zeremonien gibt es hier viele Alltagsrituale“, betont sie dann. „Unsere Treffen mit einem kurzen Check-In zu beginnen gehört ebenso dazu wie die täglichen Meditationen im Raum der Stille“.

Für Agnes ist es wichtig, sich ritualisierte Zeitfenster zu schaffen: „Ich nehme mir ganz bewusst die Zeit, auf meinem Balkon sitzen und die Vögel zu beobachten. Morgens gemeinsam zu tanzen. Im Atelier zu malen. Damit richte ich mich auf den Tag aus, fokussiere mich und schaffe ein erhöhtes Bewusstsein.“ Bettina und Georg erzählen von ihrem täglichen Umarmungsritual: „Damit haben wir einen kleinen Riss in den Alltag gebracht – und sind darüber letztlich ein Paar geworden!“

Menschen brauchen Sicherheit und Zugehörigkeit. Deshalb versammeln sie sich in Stämmen und leben nach Ritualen, die tief mit der Natur in Verbindung stehen. Diese Ebene der Existenz ist heute noch in vielen Teilen von Südamerika, Afrika, Asien und bei australischen Ureinwohnern lebendig. Wir verbinden uns mit dieser Ebene, wenn wir gemeinsam feiern, uns gegenseitig helfen, ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gruppe entwickeln und eine besondere Verbindung zu Objekten, Zeiten oder Orten empfinden.

Seit etwa 10 Jahren gibt es die Tradition, jeden Mittwoch morgens gemeinsam Mantren zu singen. „Das Besondere am gemeinsamen Gesang ist die doppelte Verbundenheit – über die Stimme verbunden mit mir selbst zu sein und gleichzeitig mit den anderen. Mich aktiv und passiv einschmiegen in den Gesamtklang“, sagt Hagara. Über die Zeit wächst dann aus wiederholten Handlungen eine Tradition. Aber was ist der Unterschied zwischen Ritual und Zeremonie? „Bei beidem geht es um die Verbundenheit mit etwas Höherem – Natur, Gott oder Universum“, definiert Hagara. „Beides ist gut für die Seele: ins Handeln kommen, Energie in Bewegung bringen. Ein Ritual kann ich selbst gestalten, entweder für mich allein oder auch in einer kleinen Gruppe. Eine Zeremonie ist formeller und verbindet mich über Zeit und Raum mit all den Menschen vor und nach mir, die diese Zeremonie auch so vollziehen.“

„Während eine Zeremonie bestehende Ordnungen und Verhältnisse symbolisiert, zielt das Ritual auf eine Statusveränderung oder -bestätigung der Beteiligten im Verhältnis zu ihrer Umwelt ab“ – diese Abgrenzung findet sich im Internet. Darin spiegelt sich etwas, was viele hier am Platz gesagt haben: Rituale sind wichtig in Übergangssituationen. Wenn etwas anfängt oder aufhört braucht es eine besondere Aufmerksamkeit und Achtsamkeit, eine tiefere Verbundenheit mit mir selbst und meiner Umwelt einerseits und etwas Höherem andererseits. Das zeigt sich in den großen Eröffnungsritualen unserer Festivals mit der gesamten Gemeinschaft ebenso wie in den ganz persönlichen Alltagsritualen.

Hermann hat gerade ein Video von Sabine Lichtenfels gesehen, das ihn so bewegt hat, dass er aus dem Kopf daraus zitieren kann: „Rituale haben die Aufgabe, die Welt die uns erschaffen hat zu verbinden mit der Welt, die wir erschaffen.“