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Vom Umgang mit Medien in herausfordernden Zeiten

von Annik Trauzettel

Die Corona-Krise hat uns vor Augen geführt, wie unterschiedlich wir politische Vorgänge einordnen und Informationen interpretieren. Auch in der ZEGG-Gemeinschaft gab und gibt es verschiedene Meinungen zu Corona und dem Umgang damit. In unserem internen Corona-Mailverteiler wurden Informationen aus ganz verschiedenen Medien geteilt. Dabei haben wir gemerkt, wie wichtig die Fähigkeit ist, Informationen einzuordnen und auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Deshalb hier eine Anregung, Medien kritisch zu lesen.

Denn welche Medien ich konsumiere und wie ich Sachverhalte aufnehme, hängt stark von meiner Prägung und meinem Wertesystem ab. Genau deswegen ist es auch so schwierig, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die vollkommen andere Ansichten haben – wir alle lesen und hören vor allem Dinge aus der eigenen „Filterblase“ und fühlen uns so immer wieder in unserem eigenen Standpunkt bestätigt. Eine Diskussion kann so schnell zum Gegeneinander werden, wenn jeder in seinem gedanklichen Komfortbereich bleibt. Daher ist es hilfreich zu prüfen, ob ich eine Nachricht ablehne, weil sie gegen mein Wertesystem und meine inneren Überzeugungen verstößt oder ob es sich tatsächlich um sogenannte „Fake News“, also bewusst gestreute Falschmeldungen handelt. Für letzteres kann ich mich zunächst an eine der vielzähligen Fakten-Check-Webseiten wenden. Hier eine Aufzählung sowie deren jeweiliger Hintergrund:

https://correctiv.org/faktencheck/ (gemeinnütziges Recherchezentrum, finanziert durch Spenden und Stiftungsbeiträge)

https://www.mimikama.at (Verein, werbe- und spendenfinanziert)

https://www.tagesschau.de/faktenfinder/ (Webseite des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland)

Fakten-Checks

faktencheckIn vielen Fällen lautet das Ergebnis eines Fakten-Checks: „Ja, aber“ oder „Nein, aber“. Genau dieses „Aber“, dieses Körnchen Wahrheit, ist das, wonach unser Wertesystem giert. Ein Beispiel: Ein Flyer mit dem Slogan „Kein Sex mit Nazis“. Darunter steht, dass diese Aktion vom Bundesfamilienministerium gefördert sei. Wenn ich mich von dem Spruch angegriffen fühle, wird das eine heftige Reaktion in mir auslösen und ich werde empört sein, dass eine derartige Aktion vom Bundesfamilienministerium gefördert wurde. Ich werde den Faktencheck dazu lesen und mir wird egal sein, dass die Förderung nicht direkt erfolgte, sondern durch den vom Ministerium initiierten Fördertopf „Demokratie leben“, aus dem wiederum Kommunen Gelder beziehen können, und diese an andere Akteure weitergeben. Die inhaltliche Gestaltung liegt somit nicht beim Ministerium. Dennoch werde ich mich in meiner Meinungsfreiheit bedroht fühlen, werde dem Bundesfamilienministerium unterstellen, linke Propaganda zu betreiben usw. Wenn ich eine antifaschistische Grundhaltung habe und es gut finde, dass solche Aktionen von Bundesministerien gefördert werden, wird meine Meinung nach dem Faktencheck eine andere sein. Auch ein Faktencheck setzt also keinen objektiven Schlusspunkt.

Natürlich werden Faktenchecks Menschen nicht überzeugen, die den Medien und dem Staat prinzipiell misstrauen. Ob ich Medien in Deutschland trauen kann, auch das werde ich aufgrund meiner inneren Einstellungen bewerten. Für eine generelle Beurteilung der Pressefreiheit kann ich die Einschätzung des unabhängigen Vereins „Reporter ohne Grenzen“ nachlesen, die zu dem Schluss kommt, dass die Pressefreiheit in Deutschland überwiegend gut funktioniert.

 

Die „Weltverschwörung“

Es kann natürlich sein, dass ich auch Institutionen wie „Reporter ohne Grenzen“ misstraue, weil ich davon ausgehe, dass diese Teil einer globalen oder nationalen Verschwörung gegen die Bürger*innen sind. Die bekannteste und wohl auch älteste dieser Erzählungen ist die der globalen Finanzelite oder der Illuminaten, die das Weltgeschehen steuern. Diese These hat einen antisemitischen Kern, denn auch wenn es nicht explizit genannt wird, gibt es eine Nähe zum alten Narrativ der „jüdischen Weltverschwörung“ . Dazu schreibt die Amadeu Antonio Stiftung:

„Für konkrete Probleme gibt es teilweise klar benennbare Gründe oder Verantwortliche, die durchaus kritisiert werden können und sollten. Aber nicht alle globalen Krisen können auf einzelne Verantwortliche oder Auslöser reduziert werden. Wer „eine kleine Gruppe Mächtiger“ für die Ausbeutung in der Welt verantwortlich macht, personalisiert ein sehr vielschichtiges Problem. Diese Personalisierung erzeugt Hass auf diejenigen, die für die „Gruppe Mächtiger“ gehalten werden. In der Regel handelt es sich dabei um eine antisemitische Verschwörungserzählung, weil seit Jahrhunderten die Lüge über eine „jüdische Weltverschwörung“ verbreitet wird.“

Vielmals entkräftet hält sich dieses Narrativ dennoch hartnäckig und taucht in Krisenzeiten mit erschreckender Zuverlässigkeit wieder auf – dann, wenn Menschen sich nach konkreten Schuldigen sehnen. Es ist einfacher, zu behaupten, die globalen oder nationalen Entscheidungen werden von einer mysteriösen Elite gesteuert, als zuzugeben, dass auch ich Teil des Systems bin. Charles Eisenstein schreibt in seinem Text „The Conspiracy Myth“, dass aktuelle Verschwörungstheorien ein Mythos sind, der zum einen das Misstrauen in staatliche Institutionen, Journalismus und Wissenschaft illustriert, zum anderen den Glauben, dass die Welt einer größeren Macht unterworfen sei, in sich trägt. Eisenstein schreibt: „Ein Mythos ist nicht dasselbe wie eine Fantasie oder ein Wahn. Mythen sind Vehikel der Wahrheit, und diese Wahrheit muss nicht wörtlich genommen werden.“ In seinem Text weist auf unsere Eingebundenheit in das System hin:

„Wenn der Verursacher [des Trends hin zu mehr Überwachung, Verfolgung, Distanzierung, Keimphobie, Sicherheitsbesessenheit, Digitalisierung und Drinnen-stattfinden von Unterhaltung, Erholung und Geselligkeit] tatsächlich eine kulturelle Mythologie und ein kulturelles System ist, dann bieten uns Verschwörungstheorien ein falsches Ziel, eine Ablenkung. Das Heilmittel kann nicht darin bestehen, diejenigen aufzudecken und zur Strecke zu bringen, die uns diese Trends aufgezwungen haben. Natürlich gibt es in unserer Welt viele schlechte Akteure, erbarmungslose Menschen, die abscheuliche Taten begehen. Aber haben sie das System und die Mythologie der Trennung geschaffen oder nutzen sie es nur aus? Sicherlich sollten solche Menschen aufgehalten werden, aber wenn das alles ist, was wir tun, und die Bedingungen, die sie hervorbringen, unverändert lassen, werden wir einen endlosen Krieg führen.“

 

Berechtigte Kritik oder Verschwörungstheorie?

Etwas als „Verschwörungstheorie“ abzustempeln, wird zu recht als Totschlagargument gesehen, da man legitime Kritik damit im Keim ersticken kann. Was ist also der Unterschied zwischen Kritik und Verschwörungstheorie? Wie die Amadeu Antonio Stiftung und auch Eisenstein schreiben ist es ja richtig, konkrete Missstände zu kritisieren und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen. So kann ich natürlich kritisieren, dass Lobbyist*innen Einfluss auf Politik nehmen, dafür gibt es genügend nachgewiesene Quellen. Eine Verschwörungstheorie wird es dann, wenn ich behaupte, es gäbe eine Gruppe, die die Politik in der Hand hat. Denn was ist eine Verschwörungstheorie im Wortsinne? Die Theorie, also Annahme, dass eine Verschwörung, also ein gemeinsam und im Verborgenen geplantes Unternehmen gegen die staatliche Ordnung, stattfindet. Je konkreter ich meine Annahmen aus allgemein anerkannten Quellen belegen kann, umso weiter weg rückt meine Behauptung von einer Theorie und wird zu einem Fakt. Doch was sind anerkannte Quellen? Eisenstein meint dazu: „Wer ist vertrauenswürdig? Am Ende ist es die Person, die die Demut hat anzuerkennen, wenn sie sich geirrt hat.“ Das ist ein sehr herausforderndes Statement, denn niemand gibt gern zu, die Lage falsch eingeschätzt zu haben. Auch Politiker*innen oder Journalist*innen werden selten zugeben, dass ihre bisherigen Aussagen falsch waren, sondern eher Worte wie Korrektur oder Anpassung wählen. Verschwörungstheorien hingegen fallen dadurch auf, dass selten etwas angepasst wird, bis auf die Vorhersage, wann das prophezeite Szenario eintritt, beispielsweise die Etablierung der Neuen Weltordnung. Gegenbeweise stärken meist das eigene Weltbild, denn „die da oben wollen doch, dass wir das glauben“ und „natürlich behauptet diese Lügenpresse das“. Seriöse Quellen zeichnen sich durch die Überprüfbarkeit der Daten aus. Woher stammen die Daten? Gibt es verschiedene Quellen, die zu dem gleichen Ergebnis kommen?

Ich führte mal ein Interview mit einem Journalisten von Radio Freies Europa, Abteilung Bulgarien. Während des Regimewechsels 1989, so erzählte er, erhielt er einen Anruf:
„Da rief jemand an und sagte: „Das Parteigebäude brennt!“ Ja, da habe ich gesagt: „Lass es brennen!“ Ich konnte das ja nicht senden, hätte ja jeder anrufen können.“
Die Aussage hat sich zwar als wahr herausgestellt, aber sein journalistischer Codex, mindestens zwei unabhängige Quellen zu benutzen, verbot es ihm, die Information direkt im Radio weiterzugeben.

image98Heute ist die Überprüfbarkeit von Daten scheinbar sehr viel schneller gegeben – mithilfe von Bild-, Ton- und Videomaterial lassen sich Dinge schnell und klar beweisen. Dass auch dieses Material manipuliert werden kann, wird dabei oft vergessen. Häufig werden Bilder aus einem anderen Kontext verwendet, um angebliche Sachverhalte zu illustrieren. Zweifelt man den Ursprung eines Bildes an, hilft die Google-Bilder-Rückwärts-Suche. Ein weiterer Hinweis auf die Seriosität eines Mediums ist das Impressum und die Frage, wer dahinter steht. Hat diese Person oder Gruppe eine bekannte Agenda? Dann sollte ich das beim Lesen des Beitrags im Hinterkopf behalten. Auch sogenanntes Clickbait ist eine Motivation, nicht überprüfte Informationen zu verbreiten oder gleich etwas zu erfinden. Clickbait-Beiträge begegnen uns vor allem als Werbung getarnt oder auf sozialen Medien und beginnen oft mit Überschriften wie „Sie werden nicht glauben...“ Sie dienen nur dazu, uns auf eine Webseite zu lotsen, die durch Werbung Geld macht. Finanzielle Interessen können auch vorliegen, wenn jemand sein Buch verkaufen will oder mit seinen millionenfach geklickten Videos auf Youtube durch Werbezuschaltungen Geld verdient. So kann man die Frage „Wem dient es?“, die von Verschwörungstheoretiker*innen gern gestellt wird, manchmal sinnvoll verändern in „Wer verdient daran?“

Auch Wikipedia kann prinzipiell zur Überprüfung von Hintergrundinformationen dienen. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass hier Freiwillige Texte verfassen und diese daher keinen wissenschaftlichen oder journalistischen Standards standhalten müssen. Ein guter Wikipedia-Artikel ist allerdings mit Fußnoten versehen, die als Belege dienen. Auch hier sollte man sich die Quellen kritisch anschauen und überlegen, ob der Artikel eine Tendenz hat, also beispielsweise nur kritische Ansichten zu einem Thema teilt, aber keine positiven. Dies ist generell eine gute Frage an einen Beitrag. Versucht der Artikel verschiedene Standpunkte abzubilden oder ist von vornherein klar, welche Argumentation verfolgt wird? Dann sollte ich die Quelle als weniger seriös einstufen.

 

Flexibel im Denken

320px The Thinker by Auguste Rodin Grand Palais Paris 13 July 2017Es wäre einfacher, wenn wir die Welt in Gut und Böse aufteilen könnten, das Böse bekämpfen und dann bis an das Ende unserer Tage glücklich leben. So einfach ist es leider in der realen Welt nicht. Auch die eine objektive Wahrheit ist kaum zu finden – weil wir alle die Welt aufgrund unserer Vorprägung beurteilen. Verschwörungstheorien bieten einfache Antworten, eine Einteilung in Gut und Böse, eine absolute Wahrheit und das Gefühl einer Zugehörigkeit zu einer „erweckten“ Gruppe, die „kapiert hat, was läuft“. Das macht sie attraktiv. Es tut uns im demokratischen Miteinander jedoch gut, unterschiedliche Sichtweisen zu betrachten und nicht auf einem Standpunkt zu beharren, sondern auch gegensätzliche Thesen in Betracht zu ziehen. Zum Einblick in andere Sichtweisen meint Charles Eisenstein: „Nehmen Sie die Haltung eines respektvollen Gastes ein, nicht die eines feindlichen Spions. Wenn Sie das tun, garantiere ich Ihnen, dass Sie auf Daten stoßen werden, die jede Erzählung, mit der Sie gekommen sind, in Frage stellen.“

 

Informationen für diesen Text stammen aus den oben bereits genannten Links (Zugriff am 18. Juni 2020), hier noch mal aufgezählt:

Amadeu Antonio Stiftung: Wissen, was wirklich gespielt wird… Widerlegungen für gängige Verschwörungstheorien - https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2019/10/Verschw%C3%B6rungstheorien_widerlegen.pdf

Correctiv: Kein Sex mit Nazis Flyer waren echt, wurden aber nicht direkt vom Bundesfamilienministerium gefördert - https://correctiv.org/faktencheck/2020/05/28/kein-sex-mit-nazis-flyer-waren-echt-wurden-aber-nicht-direkt-vom-bundesfamilienministerium-gefoerdert

Eisenstein, Charles: The Conspiracy Myth - https://charleseisenstein.org/essays/the-conspiracy-myth/

Reporter ohne Grenzen: Nahaufnahme Deutschland. Pressefreiheit im Überblick - https://www.reporter-ohne-grenzen.de/nahaufnahme/2020/

 

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