Gedanken von Markus Euler zum Thema des Sommercamps
Das nächste Sommercamp hat einen klaren Titel. Weniger Ego, mehr Mitgefühl. So weit so klar. Das ist es, was wir wollen. Wirklich? Wollen wir wirklich von irgendwo weg, wo wir gerade sind? Ist uns das Ego immer und unter allen Umständen zuwider? Wollen wir es loswerden? Und was ist dieses Ego überhaupt?
Je mehr ich mich in unserer gemeinschaftlichen Intensivzeit zur Vorbereitung des diesjährigen Sommercamps mit dem Titel und den dahinterliegenden Themen beschäftige, umso mehr wird mir bewusst, dass es schwer ist, dazu eindeutige Aussagen zu treffen. Vielleicht geht es eher darum, mit dieser Thematik einen Rahmen abzustecken, in dem es sich lohnt, die Begriffe und ihre Inhalte zu erforschen.
Abstrakt und Konkret
Zunächst einmal handelt es sich bei beiden Begriffen um sogenannte Abstrakta, die im Gegensatz zu Konkreta nicht in der materiellen Realität existieren. Konkreta wie etwa Stuhl, Haus oder Auto haben ein konkretes Pendant. Begriffe wie Ego, Liebe oder Mitgefühl haben das nicht. Sie werden sozusagen vollständig durch Sprache generiert. Das kann natürlich zu Missverständnissen führen: Was der eine unter Ego versteht, nennt eine andere vielleicht Ich oder wieder andere Selbst. Es ist nicht selbstverständlich, dass man sich darüber einig wird.
So ist es auch bei Ego und Mitgefühl. Und schnell bin ich mir mit mir gar nicht mehr so einig, dass ich vom einen weg und zum anderen hin will. Ist es nicht viel mehr eine gesunde Balance, die ich zwischen diesen beiden Extremen anstrebe? Mich weder völlig hin- und im Mitgefühl aufgeben, noch die eigenen egoistischen Ziele über alles stellen. Aber ist das Ego egoistisch? Und ist egoistisch schlecht? Wenn jeder an sich denkt, ist doch auch an alle gedacht - oder?
Es ist nicht leicht, sich hier vor allzu schnellen Antworten zu hüten. Selbst Osho wurde vorgeworfen, er hätte einmal gesagt, man soll das Ego überhöhen und pflegen, ein anderes Mal empfahl er, das Ego zu ignorieren und hinter sich zu lassen. Ein Schüler beschwerte sich bei ihm darüber, dass er so widersprüchliche Aussagen von sich gebe. Der Meister reagierte darauf gelassen: "At first, never listen to what I say."
Und er war dabei nicht nur auf den billigen Lacher aus. Er wollte darauf hinweisen, dass sich über das Mensch-Sein nur widersprüchliche Aussagen machen lassen. Ein bestimmter Bewusstseinsteil von uns gerät allein dadurch zum Klingen, dass er mit diesen Widersprüchen konfrontiert wird. Dann können wir solche Aussagen verstehen und die Widersprüche aushalten, während ein logischer Anteil den Widerspruch sieht und sie für falsch hält. Es gibt also absolut richtige Aussagen, die eben logisch widersprüchlich sind.
Zum Beispiel: Man kann mit Bestimmtheit sagen, dass man nichts mit Bestimmtheit sagen kann.
Und so verstehe ich auch, was es mit diesem Ego auf sich hat, von dem ich mich auf der einen Seite entfernen, es auf der anderen Seite aber auch lieben soll. Vielleicht soll ich es zu Tode lieben, vielleicht gilt mal das eine, mal das andere, vielleicht aber noch viel mehr. Was ist schon eine dröge Antwort gegen das Mysterium der Frage: Was ist das Ego und was fange ich damit an?
Das richtige Maß
In jedem Fall hat das Ego etwas mit uns selbst zu tun. Vielleicht ist es der Teil, der dafür zuständig ist, dass wir unsere Bedürfnisse nicht vergessen, der aufpasst, dass wir für uns sorgen, genügend Essen, ausreichend Schlaf bekommen etc. pp. Und ich kenne den Zustand, in dem das Ego übernimmt, weil es nur darum geht, mich selbst in den Vordergrund zu stellen, Aufmerksamkeit zu bekommen, gesehen und bewundert zu werden. Alles wird dann diesem Ziel untergeordnet. In solchen Momenten gibt es kein Mitgefühl. Die anderen existieren überhaupt nicht, ich fühle sie nicht und nehme ihre Bedürfnisse gar nicht wahr. Wenn ich aus diesen Strukturen heraus in Kontakt gehe, wenn sie sich verfestigen, führt das oft zu Missverständnissen, Streit oder Unterdrückung.
Mitgefühl ist das, was ich anstrebe. Für andere da sein, die meine Hilfe brauchen. Und das ist auch gut so. Doch auch diese Eigenschaft kann mensch übersteigern. Häufig opfern sich Menschen auf, indem sie sich für die Umwelt, die Alten, die Kinder einsetzen, vergessen gänzlich sich selbst und brennen aus. Ich weiß nicht, ob man dies noch als Mitgefühl bezeichnen kann, aber diese Art von Selbstvergessenheit ist nicht gesund.
Also haben beide Pole ihre Vor- und Nachteile. Für mich wird sichtbar, dass es gar nicht sinnvoll ist, Dichotomien aufzubauen, um dann in ein Entweder-Oder zu verfallen. Es geht vielmehr darum, das richtige Maß der beiden Qualitäten zu finden. Ausreichend für sich selbst zu sorgen, dabei aber nicht den Blick nach Außen verlieren. In diesem Sinne verändere ich den Titel für mich in:
Vom Ego zum Mitgefühl … und zurück
Ich bewege mich zwischen diesen beiden Polen und diese Bewegung ist gut. Ich überprüfe, welche Qualität dran ist und nutze sie nach Bedarf. Wenn ich schon den ganzen Tag für andere da war, ist es gut, mir am Abend Zeit für mich zunehmen. Mir bewusst zu werden, dass mein Gegenüber gerade Unterstützung braucht, weil er überfordert ist, ist bestimmt eine angemessenere Reaktion auf einen nicht eingehaltenen Termin, als die Person zu beschuldigen. Allein das Wissen, dass wir grundsätzlich mehrere Möglichkeiten haben auf Situationen zu reagieren, bringt mich in den Flow mit den verschiedenen Qualitäten Ego und Mitgefühl.
Und immer wieder habe ich die Möglichkeit, eine Wahl zu treffen.