Vom Pfingstfestival erzählen Simon Schramm, Eva Weigand und Barbara Stützel
Das Pfingstfestival 2018 hat eines der wichtigsten Themen der Welt einfach in den Mittelpunkt gestellt. Das sollte man nicht erklären müssen, denn es fühlt sich so logisch an. Trotzdem ist es jahrelang nicht passiert – es gab kein explizites Festival zum Sex.
„Ein Impuls für dieses Festival war, die starke Kraft der Sexualität zu ehren und zu würdigen,“ so Simon Schramm, der mit Eva Weigand das Pfingstfestival 2018 konzipiert und geleitet hat. Gerade weil Sex im öffentlichen Diskurs immer noch und immer wieder negativ konnotiert ist. So richtig die #metoo-Bewegung ist, weil sie Machtmissbrauch in der Sexualität endlich öffentlich thematisiert – uns fehlte im Diskurs eine Vision: Eine Kultur, in der Sexualität sich im freien Spiel der Kräfte und im Einverständnis zum Wohle aller entfalten darf. Dafür wollten wir beleuchten: Von welchen Werten gehen wir aus, wenn es um Sex geht? Wie ist das Thema eingebettet in eine größere Vision?
„Let’s talk about Sex“ wurde also zum Untertitel dieses Festivals. Dabei standen drei Strömungen im Mittelpunkt. Sie alle hatten im ZEGG in den letzten Jahren eine Bedeutung. Die Absicht: ihnen Raum zu geben und sie dann miteinander ins Gespräch zu bringen. Da ist zunächst natürlich die Wurzel des ZEGG: Die Grundidee, dass Sexualität am besten gelebt werden kann, wenn sie transparent sein darf, also aktiv und bewusst in Gemeinschaft eingebettet wird. Wenn das Thema Sexualität integriert ist, können tiefe Räume von Zugehörigkeit geschaffen werden, in denen Menschen wieder gemeinschaftlich denken und fühlen lernen. Dieser gemeinschaftliche Blick auf Sexualität versteht sich als zutiefst politisch, denn er will zur Entstehung von Frieden unter Menschen beitragen. Diese Richtung wurde im Festival von Benjamin von Mendelssohn aus der Tamera-Gemeinschaft und von Dolores Richter aus dem ZEGG repräsentiert.
Die zweite Strömung war die Bewegung des tantrischen „Slow Sex“, vertreten von Christian Schumacher und Hella Suderow. Sie stehen für eine monogame Sexualität mit dem Fokus auf Langsamkeit, Achtsamkeit und Bindung. Ihre Forschung an der sexuellen Beziehung hat einen Geschmack von „Sex als gemeinsame Meditation“. Heilung besteht für sie darin, die Trennung von Sex und Herz aufzuheben und den Fokus des Erlebens vom Äußeren in den Innenraum zu verlagern.
Die dritte Strömung, die inzwischen auch Eingang ins ZEGG findet, hinterfragt im Sinne des Genderdiskurses die binäre Unterteilung in Mann und Frau. Sie fragt: was gibt es jenseits der Polarität?In dieser Szene haben viele Menschen einen leichten und verspielten Zugang zu experimentellen Räumen, zur Entschiedenheit für eine bewusste Konsenskultur und zum Stellenwert des bewussten Kommunizierens beim Sex. Vertreten war diese Perspektive durch Marie Kolinsky, Christopher Gottwald und Laura Meritt aus Berlin.
All diese Strömungen haben gemeinsam, dass sie Sexualität bejahen und für eine sex-positive Kultur eintreten. Und: es gibt grundlegende Unterschiede zwischen ihnen. Ist es gelungen, die Widersprüche (z.B. Mann/Frau versus nicht binär, Impulsen nachgehen versus Achtsamkeit) anzuerkennen und so zu beleuchten, dass sie sich sogar ergänzen und zu befruchten? „Ja, es gab immer wieder Momente, wo so etwas spürbar war,“ berichtet Eva. „Jeden Mittag haben sich alle Referenten untereinander getroffen und den Diskurs vom Vormittag weiter geführt. Schon am ersten Tag begannen sich Ängste vor den Positionen der Anderen aufzulösen. Ein Referent erzählte, er hätte die Genderperspektive zum ersten Mal vollständig hören können, ohne sich angegriffen zu fühlen. Und es wurde schnell klar, dass es etwas gibt, was alle verbindet – die Vision einer sexpositiven Welt und ein gemeinsames Wissen um das Potenzial der Sexualität zur Heilung. Für mich entstand dabei die Magie eines Raumes gemeinsamen Nachdenkens." Dies wurde auch praktisch sichtbar im Laufe des Festivals, als sich die Referenten während der verschiedenen Tagesthemen zunehmend aufeinander bezogen. Eine berührende und inspirierende Erfahrung.
Für das ZEGG war das Festival ein großer Schritt und eine Weiterentwicklung. Lange dominierte im ZEGG die Haltung, dass wir diesem Thema zwar einen Schwerpunkt geben, es aber nicht eigenständig thematisieren. Sex pur wird in der Gesellschaft zu oft missbraucht für viele Zwecke. Im Vorfeld des Festivals gab es in der Gemeinschaft Befürchtungen, dass die Schattenseiten der Sexualität dominieren könnten, dass Menschen mit eigenen Traumata in Berührung kämen und aus dem gemeinsamen Erlebnisraum fallen würden. Diese Ängste haben dazu beigetragen, schon im Vorfeld zu überlegen, wie wir einen klaren Raum etablieren können. Es gab Spielregeln wie z.B. den aktiven Konsens bei sexuellen Handlungen oder Kommunikation über Impulse und Grenzen. Es gab ein Awareness-Team, das jederzeit für persönliche Prozesse ansprechbar war und das viel in Anspruch genommen wurde. Und bei den Festivalteilnehmer*innen war dann ein erwachsener Umgang mit Sexualität und auch mit eigenen Verletzungen spürbar.
Auch für die ZEGG-Gemeinschaft hat das Festival einiges intensiviert. Im Vorfeld haben sich neue Liebesforschungsgruppen gebildet, die sich auch nach dem Festival weiter treffen. Viele Inhalte klingen nach und gehen in Gesprächen weiter. Und in der Gesamtgemeinschaft steht eine Art ethischer Standortbestimmung zum Thema Liebesfeld und Sexualität an – gibt es Dinge, die wir nicht nur an Pfingsten vertreten, sondern auch weiterhin? Es bleibt spannend.
Wir wollen zu einer Gesellschaft beitragen, in der Sex als die positive Kraft wahrgenommen wird, die sie ist. Ohne ihre Schattenseiten auszublenden und in einer Haltung von Klarheit und Liebe. Das Festival hat viel Freude kreiert und gezeigt: die Zeit ist reif dafür, die Erfahrung und Kompetenz des ZEGG im Themenfeld Sexualität zur Verfügung zu stellen.