Von Markus Euler
Da steht sie mir gegenüber, die Person, die ich schon so lange begehre und endlich habe ich mich getraut sie anzusprechen, alles läuft gut soweit. Wir plaudern, lachen gemeinsam, kommen uns näher. Bald steht vielleicht die erste Berührung an und ich merke, wie ich unsicher werde, zögere. Kann ich jetzt etwas sagen darüber, wie es mir geht? Ist das nicht unromantisch? Muss ich nicht in dem Spiel bleiben, damit es auch voran geht?
Kann ich jetzt nüchtern werden oder will ich mich lieber betrinken an dieser Stimmung, die mir den Atem raubt? Ich will nicht zu forsch rangehen, aber auch nicht zu weit zurückbleiben. Am Ende ist sie mir noch böse, weil ich nicht mehr rangegangen bin. Oder zweifelt gar daran, ob sie attraktiv für mich ist.
In Zeiten da sexuelle Übergriffe öffentlich thematisiert werden, gleiten solche Gedanken immer öfter durch immer mehr Köpfe und das ist gut so. Auch wenn sich Widerstand gegen diese Gedanken regt, weil sie die Erotik des Augenblicks zerstören würden. Manchmal denke ich auch, dass früher alles einfacher war. Es gab ein klares Ziel, die Männer strebten es an, die Frauen zierten sich. Ein aktiver Part (meist männlich) eroberte einen passiven Part (meist weiblich) im Sturm, beide gaben sich der Lust des Augenblicks hin. Da musste nicht gesprochen werden, da sprach das pure Körperbewusstsein, berauscht von der Magie des Moments versanken zwei Körper ineinander und wurden zu Shakespeares metaphorischem ‚Tier mit zwei Rücken‘. Keine Fragen, keine Zweifel, kein Zögern.
Auch ich habe diesen Rausch genossen, genieße ihn bisweilen immer noch. Doch mit der Zeit wurde mir bewusst, dass diese Art von Begegnung Programmen folgte, die nicht übereinstimmten mit dem, was ich wollte, was mein Gegenüber wollte, was wir beide wollten. Es war wunderbar mal die Kontrolle zu verlieren. Doch wenn ich dabei aber mich, mein Gegenüber, unsere Bedürfnisse aus den Augen verlor, trug das nicht zu unserem Wohlbefinden bei. Weil wir im Kontakt nicht die Nähe und Intimität fanden, die wir suchten.
Daher glaube ich heute, dass die intensivere Beschäftigung mit eben diesen Kontaktflächen zu einem weiteren Bewusstsein beiträgt und eher nützlich ist denn hinderlich.
Sie steht allerdings einer Sichtweise der sinnlichen Annäherung entgegen, die da behauptet, das Bewusstsein sei ein Gegenspieler der Erotik. Viel Geist führe zu wenig Erotik (wie umgekehrt viel Erotik zu wenig Geist führe). Mache ich mir viele Gedanken, bringe diese vielleicht gar noch ins Gespräch, zerstöre ich die Erotik, die in dieser Begegnung leben könnte.
Ich glaube, je mehr gesprochen wird im sinnlichen Kontakt, je mehr wir uns selbst und unserer Bedürfnisse bewusstwerden und sie auch kommunizieren, umso intensiver, schöner und stimmiger kann ein Kontakt werden. Darüber hinaus werden sexuelle Übergriffe, ungewollte Grenzüberschreitungen weniger wahrscheinlich. Natürlich kann mensch keine absolute Sicherheit herstellen, auch nicht über noch so viele Gespräche. Doch ich kann mich mitteilen, zum Beispiel über den Wunsch zu berühren, und damit den Raum eröffnen über Bedürfnisse zu sprechen oder sich darüber bewusst zu werden. Wenn das geschieht, öffnet sich gewöhnlich ein Tor in eine tiefere Begegnung, weil Vertrauen eingebracht und nicht missbraucht wird.
Im aktuellen Diskurs kursieren skurrile Übertreibungen. Wenn mensch sich beispielsweise vorstellt, dass die Partner eine lange Diskussion führen und dann festlegen, eventuell noch schriftlich, was sie im Folgenden miteinander körperlich vollführen wollen. Dann, mitten im Liebesspiel, vielleicht noch über die Paragraphen ihres zuvor festgelegten Liebesspiels zu diskutieren: „Moment, du wolltest doch zuerst meine linke Wange küssen und nicht die rechte.“
Natürlich geht es nicht darum. Alles kann in einer Weise übertrieben werden, dass es absurd wird. Das heißt nicht, dass Bewusstsein einer Begegnung grundsätzlich schadet. Ich finde im Gegenteil, dass Bewusstsein ihr eher zuträglich ist. Im ZEGG beschäftigen wir uns schon seit langem genau mit diesem Thema. Wir sind uns einig, dass Bewusstsein die Liebe nicht schädigt, sondern ihr zuträglich ist.
Ich lebe im ZEGG, weil ich Liebe und Sinnlichkeit aus dem besinnungslosen Raum der romantischen Vorstellung herausholen will, um sie in einer bewussteren, zeitgemäßeren Art zu leben. Dieser Wunsch entspringt dem Glauben, dass Sexualität etwas durch und durch Positives ist. Sie soll nicht versteckt und heimlich gelebt werden, sondern im Lichte des Tages. Mit allen Ängsten und Sehnsüchten, die damit einhergehen.
Natürlich ist darin niemand perfekt, auch ich nicht. Ich bin mir meiner eigenen Bedürfnisse und Motivationen manchmal nicht bewusst und übergehe sie. Weil ich im Kontakt bleiben will, weil ich Angst vorm Verlassenwerden habe, tue ich Dinge, die sich für mich nicht mehr stimmig anfühlen. Doch ich bin darauf ausgerichtet, mir diese Dinge bewusst zu machen. Je mehr ich dies tue, umso mehr wird mir auch bewusst, wo es hakt und noch nicht stimmt. Und dies ist auch gut so, denn so lerne ich, gehe ein Thema an, durchdringe es mit meinem Bewusstsein, finde heraus, wo es flüssig ist, angenehm für die Beteiligten, aber eben auch, was noch nicht stimmt. Ich engagiere mich dafür, den Kontakt stimmig zu machen.
Mir geht es darum, dass jeder Mensch das Recht hat, sich selbst bewusst zu werden, was er oder sie will, um dies in Kommunikation mit anderen zu bringen und - je nach Übereinkunft – auszuleben. Dabei kann es natürlich auch zu unkomfortablen Situationen kommen. Es ist nicht mein Ziel diese komplett zu vermeiden. Es geht mir darum, sie bewusst zu machen und daran zu lernen.
Dadurch, dass ich diese Themen angehe, thematisiere, aus dem Dunkeln hervorhole, entsteht auch Potential für Verletzung. Aber ich bin der Überzeugung, dass eine Heilung im erotischen Miteinander nur möglich ist, wenn wir die Themen angehen und ins Bewusstsein bringen. Ich ziehe dabei das der Verdrängung des gesamten Themas vor.
Das ZEGG ist ein Ort, an dem wir eine bewusste Liebeskultur schaffen wollen. Dabei stehen wir nicht nur für uns. Immer wieder bekommen wir Feedback von unseren Gästen, dass sie sehr davon profitieren, diese Art des Umgangs mit zwischenmenschlichen Themen zu lernen. Für viele ist das ZEGG ein Leuchtturm was die Themen rund um Liebe, Sexualität und Erotik angeht. Aber wie ein Leuchtturm haben wir nicht alle Lösungen parat, können nicht jede Frage beantworten, versuchen aber Orientierung in einem Bereich zu geben, der gesamtgesellschaftlich immer noch sehr dunkel und undurchdringlich wirkt.