Zur Notwendigkeit von politischem Engagement
von Cordula Andrä & Simon Schramm

„Wenn wir aufhören, die Demokratie weiterzuentwickeln, fängt die Demokratie an, aufzuhören.“ (Ute Scheub)
Dieser Satz ist zwar richtig, aber „Demokratie“ scheint etwas zu sein, was bis auf das Kreuzchen bei den Wahlen ziemlich weit weg stattfindet. Und dann .... streift der Blick die nächstbeste Zeitung und uns springen die haarsträubenden News von Trumps Pussy-Grabbing, AfD-Parolen und Fremdenhass ins Auge. Wir versinken in einem Wechselbad aus Scham, Angst, Wut und Trauer. Und plötzlich sind das Politische und das Private wieder ganz nah beisammen.

 In was für einer Gesellschaft will ich leben? Reicht es, wenn ich einfach Zuschauer der Ereignisse bleibe und all meine Energie auf mein eigenes Leben konzentriere? Zwar in Gemeinschaft, ökologisch, spirituell, aber doch recht überschaubar. Es braucht doch einen größeren politisch-sozialen Prozess, der unserem Gesellschaftskunstwerk immer wieder neues Leben einhaucht. Sonst finde ich mich tatsächlich irgendwann in einer Welt wieder, die Schwarz-Weiß-Denken über Pluralismus stellt und in der ich mich mit meinem Leben im ZEGG auf einmal als bedrohte Minderheit wiederfinde. Und klage dann über den Zustand der Welt und die „Bösen da Draußen“. Alles keine völlig undenkbaren Szenarien. Viel interessanter aber ist doch die Frage, was eigentlich in mir los ist. Wie verbinde ich mich überhaupt wieder mit der Lust, mich zu positionieren, mich einzumischen? Wo stehe ich und was hindert mich, politisch einfach loszulegen?

Innere Bestandaufnahme

Diese Frage fördert einiges zutage, was da im Weg ist. Zum Beispiel der Zustand unserer politischen Kultur. Was ich davon mitbekomme, löst in mir einiges aus, von Langeweile über Ärger und Verzweiflung, aber nur wenig Lust, mich zu beteiligen. Ich schätze die Demokratie sehr und finde es grundsätzlich gut, dass es ein Parlament gibt; in dem Dinge ausdiskutiert werden können. Ja, und ich werde wählen gehen, wenn es wieder soweit ist. Gleichzeitig scheinen mir viele politische Formen in unserer Gesellschaft angesichts der Schnelligkeitsozialer Netzwerke und der Lösungsorientiertung mancher sozialer Prozesse, wie sie etwa Jascha Rohr initiiert, seltsam starr und unkreativ. Aber wie kannein aktives Mitgestalten dann aussehen? Ist es die Demonstration, der Flashmob, eine Unterschriftenaktion? Oder geht es vielleicht darum, anderen meine Qualitäten zur Verfügung zu stellen und Meinungsbildungsprozesse zu begleiten?

Und dann die Schwierigkeit, mich in einer politischen Kultur zu verorten, die ihre Energie vor allem aus dem Kampf gegen etwas oder gegen jemanden zieht. Denn die Lösung liegt bei Konflikten ja meist nicht in einer der beiden Positionen, die sich da streiten, sondern in etwas Drittem. Im persönlichen Leben übe ich mich darin, die Spannung beider Positionen in mir sein zu lassen. Wenn der Raum in mir weit genug ist, um für beide Seiten präsent zu sein, kann etwas Neues geschehen. Soweit die Theorie. Manchmal gelingt es auch. Aber gilt das auch für politische Konflikte? Fühlt sich an wie ein Fall von zu hohem Anspruch:einerseits klar Position beziehen und andererseits den inneren Raum nicht verlieren.Oder geht es vielleicht weniger um das, was wir tun, als vielmehr darum, wie wir es tun? Also um eine Haltung von Liebe oder Angebunden-Sein in Diskussionen und konfliktreichen Situationen.

Der Wunsch, die Welt zu verbessern, kann auch eine Falle sein. Ideale sind Antreiber, wenn sie der einzigeMaßstab unseres Handelns sind, ist es nie genug, sind wir nie am Ziel. Wir laufen auf immer und ewig dem Paradies hinterher. Also ist es vielleicht die Verbindung nach Innen, die den Unterschied macht. Das Fühlen, den Körper und die eigene Präsenz nicht außen vor zu lassen. Politisches Handeln, dass sich nicht nur im Denken erschöpft, sondern die anderen Quellen des Mensch-Seins mit dazu nimmt.Auch Kunst kannein Weg sein, indem es Risse in der Wahrnehmung der Realität erzeugt. So wie es das Institut für politische Schönheit seit einiger Zeit mit viel Radikalität und Strahlkraft vorführt.

Ein Gesellschaftskunstwerk

So langsam wächst die Lust, mich genau darüber auszutauschen, mit Menschen, die Gleichgesinnte sind. Wir wollen Diskursfreude, Neugierde, Gestaltungslust und Kreativität in uns wecken. Und uns die Frage stellen, wie wir im Sinne von Beuys zu Künstlern der ganz großen sozialen Plastik werden. Damit „etwas gegen das Bestehende gesetzt werden kann, als Vorbild, Vorschlag, Labor“ (Harald Welzer). Denn unser Anliegen ist: Ein soziales und politisches Leben zu entdecken, dass auf Kooperation und Evolution basiert. Denn wir Menschen haben ja die Wahl, uns für das Bessere einzusetzen – inmitten und mit all unserer Unvollkommenheit und unserem Nichtwissen.

 

Simon Schramm & Cordula Andrä

 

Dieser Artikel erschien in der SEIN 01/2018 als Vorbereitung auf die Veranstaltung ZUSCHAUEN WAR GESTERN im Februar 2018 in Berlin.